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Kommentar SPDWas Fürsten versprechen

Kommentar von Christian Semler

Wäre es Wortbruch, wenn sich Ypsilanti von der Linken wählen lässt? Wichtig ist doch, dass sie Manövrierraum für ihre Politikinhalte gewinnt.

A m Freitag in Augsburg hat der SPD-Vorsitzende Beck sein vorzeitiges Wort zum Sonntag gesprochen. Auch der Pfarrer, so Beck, predigt nur einmal. Und zum Thema Linkspartei habe er alles Notwendige gesagt. Bloß worin, um Gottes willen, besteht das "Eindeutige", das jetzt die SPD-Philologen aus Becks Predigt destillieren wollen? Alle diese Anstrengungen fruchten nichts. Die Worte des Vorsitzenden, seine Ablehnung der "aktiven Zusammenarbeit" mit der Partei der Linken, seine Absage an "Absprachen oder sonstige Zusammenarbeit" schließen gerade nicht aus, dass sich Andrea Ypsilanti mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen wird.

"Wortbruch" heißt jetzt die schlimme Vokabel. Schlag nach im Standardwerk Machiavellis, "Der Fürst", Kapitel 18: "Es ist lobenswert, wenn ein Fürst sein Wort hält. Dennoch haben viele Fürsten durch Wortbruch viel vollbracht." Und weiter: "Ein Fürst muss wortbrüchig werden, wenn sein Versprechen für ihn von Nachteil ist und wenn die Gründe, warum er es gegeben hat, wegfallen." Worte des Zuspruchs für unsere hessische Fürstin in spe.

Bleibt nur der ärgerliche Faktor der Glaubwürdigkeit. Die sich jetzt abzeichnende neue Fünferparteienkonstellation macht jede künftige Regierungsbildung schwierig - auch in Hamburg. Aber kann sich Andrea Ypsilanti einfach über das von ihr vielfach abgegebene Versprechen hinwegsetzen, sie werde sich keinesfalls mit den Stimmen der Partei der Linken wählen lassen? Und ruiniert nicht die Notwendigkeit parteipolitischer "Flexibilität" die knappe Ressource des Vertrauens, die das Publikum in die Zuverlässigkeit von Politikerworten investiert hat? So sehen es zumindest die Parteienforscher, die von dem großen Risiko auch für die Bundes-SPD sprechen, sollte diese im Fall Hessen zum Wortbruch schreiten.

Es wäre etwas billig, es bei der Häme darüber zu belassen, wie dämlich sich die SPD angestellt hat. Jetzt ist etwas Ermunterung angebracht. Seilt Ypsilanti sich von einem Versprechen ab, das eh nie inhaltlich begründet war, so gewinnt sie Manövrierraum für die Politikinhalte, deren Verwirklichung sie den Hessen versprochen hat. Es ist dieses Versprechen, das zählt.

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5 Kommentare

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  • KR
    Katharina Richter

    Die derzeitgiten Koaltionsdiskussionen in Deutschland wirken paradox. Noch vor wenigen Monaten verkündetet sowohl rechts als links euphorisch ?Wir sind die Mitte!? und erhofften damit das Vertrauen der Wähler zu gewinnen. Der verwirrte Wähler konnte den Parteiprogrammen kaum entnehmen, wen er jetzt eigentlich wählte. Die CDU öffnete sich plötzlich für Klimapolitik und Krippenplätze, während die SPD die Sozialausgaben radikal kürzte. Schwarz Gelb Grün? Oder Rot Grün Gelb? Vielleicht auch Rot Rot Grün? Irgendwie wirkten sie alle ein bisschen farbenblind die Politiker. Mit dem Auftrag der Wähler hatte dieser Kunstkurs wenig zu tun. Es war wie mit dem Verbraucherschutzgesetz, ?man weiß nie wirklich was in der Packung drinsteckt.? Deutlich war nur, dass alle sie darum drückten eine klare Position zu beziehen. Man wollte sich nach allen Richtungen offen halten.

    Dieses Verhalten fügt sich perfekt in die Koaltioions theorien verschiedener Politologen, die feststellen, dass Parteien sich in Zukunft immer weiter zur Mitte hin neigen werden. Nur leider kann man Politik nich nach Formeln berechnen, weil Menschen nun mal keine -konstanten Werte sind. Sie sind gefühlsbeladene Wesen, die sich vor der Klimachaos fürchten und Sparbirnen eindrehen, aber mit einem Billigflieger in den Urlaub fliegen. Darum fällt es ihnen auch so schwer, sich auf eine Partei festzulegen, die nur rechts oder nur links ist. Denn das ist in unserer zunehmend individualisierten Gesellschaft nun mal keiner. Selbst CDU Wähler geben zu dass Kernkraftwerke keine Lösung sind und Grünen Wähler regen sich über die prolligen Türken im Bus auf. Ist das also das Ende der Ideologien?

    Im Hessischen Wahlkamp wurde dann wieder alles ganz einfach: Koch entschied sich für die ganz traditionelle konservative Methode. Wir schaffen uns ein Feindbild und rücken alle dicht zusammen gegen die bösen Ausländer. Plötzlich wurde es wieder unkompliziert. Man musste nicht mehr viel über inhaltliches nachdenken, da waren die ?bösen? und hier die ?guten?(was wiederum abhängig von der Perspektive war. (?Where you stand depends on where you sit?). Es musste nur noch ein Kreuzchen gemacht werden.

    Der Ausgang der Wahl zeigt deutlich, dass Demokratie eben doch nicht nur aus einem ?Kreuzchen machen" besteht. Denn plötzlich sah wieder alles ganz anders aus. Alle ideologischen Aspekte wurden plötzlich eingeschränkt.

    Irgendwie muss ja trotz aller Grundsätze eine regierungsfähige Koalition zustande kommen. Und plötzlich müssen die Wähler wieder denken. Und aufpassen. Vor man sich versieht kommen plötzlich wieder ganz kunterbunte Mischungen zustande. Dabei wird wieder einmal deutlich, dass der Beitrag des Wählers an der tatsächlichen Machtsausübung über das Land doch eher unwesentlich ist. Mag man auch die CDU gewählt haben weil man der Meinung ist, die Ausländer würden unschuldige Deutsche ständig zusammenschlagen. Auf einmal könnte die gleiche Partei eine Koalition mit den Grünen ins Gespräch bringen. Und ganz gegenteilige Gesetzte wären plötzlich möglich. Umgekehrt gilt natürlich gleiches. Auch wenn die Folgen dieser Vermischung auf den ersten Blick bequem wirken- (schließlich drohen nicht allzu große Veränderungen.) sind sie gefährlich. Der Wähler macht dadurch die Erfahrung, dass seine Beteiligung rein gar nichts zählt, und wird sich bei der nächsten Wahl überlegen, überhaupt zu gehen. Vielleicht ist die zunehmende homogenität in der Parteienlandschaft ein Grund für die aktuelle Politikmüdigkeit. In jedem Fall ist sie Grund zur Vorsicht: Eine allzu gewagte Vermischung der Farben hinterlässt schnell einen hässlichen Braunton??..

  • AA
    Andre Adrian

    Machiavelli, Beck, Ypsilanti. Welch ein Dreigestirn. Frau Ypsilanti kann in der Demokratie nur Ministerpräsidentin werden, aber vielleicht hat Sie ja das Zeug zur Fürstin.

    Und nun kommt das Pragmatische, ganz im Sinne von Machiavelli: Wer ausser Fr. Ypsilanti hat denn realistische Chancen auf den Fürstenthron in Hessen. Doch wohl kaum Hr. Koch?

    Wenn die "Links ist doch nicht so schlimm" Sprüche von Beck in Hamburg nicht voll nach hinten losgehen dann werden in Hessen noch schnell ein paar Eier in die Pfanne gehauen zum rot-rot-grünen Omelett. Die Verlierer CDU und FDP riechen den Braten und heulen schon einmal vorher aus Frustration. Zum Trost an schwarz-gelb: nach der Wahl ist vor der Wahl. Und wenn dann noch die grosse Koalition in Berlin zerbricht freue ich mich als gemeiner Hesse zweimal...

  • AL
    Andreas Lefteridis

    Herrn Semlers Denkanstrengung setzt auch in diesem Falle zu spät ein, weshalb er auch von Macchiavellis politischem Realitätssinn einen falschen, apologetischen Gebrauch macht. Nie und nimmer hätte der Florentiner zu rechtfertigen gesucht, dass Lüge und Wortbruch ein probates Mittel der Politik seien, wenn sich die handelnden Akteure durch eine miserable Politik in eine derartige Zwickmühle gebracht hätten, aus der sie nur mehr mittels solcher Praktiken sich glauben befreien zu können. Der katastrophale politische Fehler der SPD besteht darin, auf der einen Seite fortgesetzt staatstragende Sprechblasen abzusondern wie "Alle demokratischen Parteien müssen koalitionsfähig sein", auf der anderen Seite aber kategorisch auszuschließen mit der "Linken" Konkurrenz auch nur in Koalitionsverhandlungen einzutreten. Man weigerte sich also von vornherein, die politischen Möglichkeiten einer wie auch immer gearteten Kooperation auszuloten; stattdessen grenzte das SPD-Führungspersonal - nicht zuletzt von einem Anti-Lofontaine-Affekt geleitet - die "Linke" von vornherein als "vaterlandslose Gesellen" aus. Nun bekommt man die Quittung in Gestalt eines abstoßenden Anschmierens an die FDP bei gleichzeitigem Eiertanz, mit dem gerechtfertigt werden soll, was nicht zu rechtfertigen ist: die Ablehnung jedweder Zusammenarbeit mit der Gysi-Lafontaine-Truppe, selbst deren Duldung eines SPD-Minderheitenkabinetts war so glasklar, dass kein Macchiavelli aus dieser Sackgasse herauszuführen vermöchte. Zwei Lehren sind daraus zu ziehen: erstens, die SPD hat mit Herrn Beck den Vorsitzenden, den sie verdient, miserabler noch als einst der unsägliche Scharping, von dem Oskar die Partei befreite, die ihm daraufhin zu Füßen lag, was sie ihm auf alle Ewigkeit nicht wird verzeihen können; zweitens, die taz hat mit Herrn Semler den Chefkommentator, den ihr Intelligenzlerblatt der gehobenen Stände verdient. Vermutlich wird Macchiavelli auch herhalten müssen, wenn es gilt, schwarz-grün als realpolitische Transformation radikaler Systemopposition zu rechtfertigen. Götz Aly hat nicht die geringste Ahnung davon, welch staatstragender Gesinnung man in der Koch-, Verzeihung Rudi-Dutschke-Straße ist.

     

    Mit freundlichen Grüßen

    Andreas Lefteridis

  • KP
    Klaus Pollerwiese

    Der Kommentar von Herrn Semler ist wirklich ganz großes Kino und kann dem Normalbürger wirklich nur Tränen in die Augen treiben. Wie schamlos will man einen Wortbruch oder noch ehrlicher formuliert, eine Lüge, denn noch kaschieren? Die Herren Lambstorf und Kohl wirken dagegen ja wie Waisenknaben. Bleibt nur eine Frage ungeklärt. Hat Herr Beck zu tief ins Weinglas geschaut oder ist er wirklich so blöd. Ich freue mich jedenfalls auf einen bald beginnenden Lagerwahlkampf zur Bundestagswahl, bei dem es ihm schwer fallen wird, dass Image des Lügners los zu werden.

  • A
    A.L.

    Das Bashing auf Kurt Beck ist schwer nachzuvollziehen. Vielmehr sollte er dafür gelobt werden, die SPD wieder ins Zentrum der politischen Möglichkeiten zu führen. Die Mehrheit in Deutschland ist links und die mittlere Position in diesem Spektrum ist entscheidend, um die bundesdeutsche Politik zu lenken.

     

    Wenn nun die Union wild schreit von wegen Wortbruch, so sei auf Adenauer verwiesen, welcher sagte: "Was geht mich mein Geschwätz von gestern an. Man wird ja wohl noch hinzulernen dürfen." Das ist den Schwarzen unbedingt vor den Latz zu knallen.

     

    Die Abtrünnigen innerhalb der SPD (all die Clements & Co) müssen sich im klaren werden, ob sie dort überhaupt noch hingehören. Die Parteilinke gehört endlich gestärkt und der reaktionäre Seeheimer Kreis auf ein akzeptables Mass gestutzt.

     

    Kurt Beck schliesslich, hat grosses eingeleitet und dies wird ihm einen Platz in den Geschichtsbüchern direkt an der Seite Kurt Schumachers und Willy Brandt geben (welchen die anderen SPD Vorsitzende sich nicht verdient haben).