Kommentar SPD-Öffnung zur Linke: Falscher Stil, richtige Richtung
Der Kurswechsel von SPD-Chef Beck war klug, aber in einer Mischung aus Selbstherrlichkeit und Amateurtheater inszeniert.
Stefan Reinecke ist Meinungsredakteur der taz.
Der Rauch des Wahlkampfs verzieht sich langsam, das Bild wird wieder schärfer. Die große Koalition in Berlin ist nicht zerbrochen. Sie tut vielmehr, was sie immer tut, und regiert routiniert. Die SPD steht, nach Becks kleinem Schwenk, nicht vor der Spaltung, und überraschenderweise hat die Linkspartei in Hessen die Macht noch nicht an sich gerissen.
Nüchtern betrachtet hat SPD-Chef Beck mit seiner halben Kurskorrektur das Notwendige getan. Beck hat lange eine dogmatische Politik der scharfen, emotional hoch aufgeladenen Ausgrenzung der "sogenannten" Linken im Westen verfolgt. Damit ist die SPD gescheitert. Die Linkspartei hat in allen vier westdeutschen Wahlen gewonnen und macht keine Anstalten, zu verschwinden, nur weil die SPD sich das wünscht. Deshalb adelt es Beck, dass er seine tiefsitzende Aversion gegen die Linkspartei hintangestellt hat und Andrea Ypsilanti nicht dazu zwingt, Roland Koch weiter regieren zu lassen. Das ist klug, denn wer eine gescheiterte Politik stur weiter verfolgt, taugt nicht als Parteichef.
Auf einem anderen Blatt steht, dass Beck diese Korrektur in einer atemberaubenden Mischung von Selbstherrlichkeit und Amateurtheater inszeniert hat. Der Zeitpunkt kurz vor der Hamburgwahl war bizarr. Anstatt eine offene Debatte anzustoßen, kam der neue Kurs klammheimlich ans Licht. Kein Wunder, dass die Partei sich überfahren fühlt.
Und nun? Die SPD wird Beck folgen. Nicht, weil sie keinen anderen Chef hat, sondern weil sie einen flexibleren Kurs gegenüber der Linkspartei braucht. Im Osten hat es Jahre gedauert, ehe die SPD sich zu einer pragmatischen Haltung zur PDS durchringen konnte. Es wäre dumm, diesen Fehler im Westen zu wiederholen. So kann es in Hessen eine von der Linkspartei geduldete rot-grüne Koalition geben. Die inhaltlichen Schnittmengen von rot-rot-grün sind dort groß. Im Bund sieht das anders aus. Pragmatische Lösungen suchen und ideologische Großraumdebatten meiden, mit diesem Kurs ist die SPD im Osten gut gefahren. Und die Gefahr eines Lagerwahlkampfs? Dem kann die SPD gefasst entgegensehen. Die Wähler sind klüger als die Freiheit-oder-Sozialismus-Propaganda, die derzeit inszeniert wird.
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