Kommentar Russischer Ölmilliiardär in Haft: Keine Gnade für früheren Oligarchen
Michael Chodorkowski muss weiterhin in sibirischer Haft bleiben. Gegen ihn läuft derzeit ein zweites Strafverfahren. Haftbedingungen sind menschenunwürdig.
F ür das Gnadengesuch von Michail Chodorkowski vor einem sibirischen Gericht gab es Anlass. Nachdem er über die Hälfte seiner Strafe verbüßt hat, darf jeder russische Häftling hoffen - bei guter Führung. Doch in den Gerichtssaal wurde der einst Superreiche diesmal aus dem Karzer (der Strafzelle des Lagers) transportiert. Kurz vorher hatte ihn der Chef der Strafanstalt in seiner Zelle besucht und Disziplinarverstöße konstatiert. Einer davon: Chodorkowski hatte versäumt, bei seinem Eintritt die Anzahl der im Raum Einsitzenden zu melden.
Der Prozess im Jahre 2003, bei dem der Magnat zu 8 Jahren Haft verurteilt wurde, verlief nach allen anderen als rechtsstaatlichen Prinzipien. Ob Chodorkowski Steuern hinterzogen hatte, ist schwer zu beurteilen. Zahlreiche Oligarchen, die ähnlich wie er während der 90er-Jahre in steuerrechtlichen Grauzonen laviert hatten, blieben unbehelligt. Deshalb wurde klar: Russlands reichster Mann war in Ungnade gefallen, weil er Putins Politik kritisiert hatte und weil er vielleicht beiden Präsidentenwahlen kandidieren wollte.
Gegen den Exeigentümer des Yukos-Konzerns läuft heute ein zweites Strafverfahren, ihm wird Geldwäsche von über 18 Milliarden Euro zur Last gelegt. Deshalb, so die Richter, drohe bei einer jetzigen Freilassung Fluchtgefahr. Sie ist wenig wahrscheinlich. Schon vor fünf Jahren weigerte sich der Öltycoon trotz drohender Haft, das Land zu verlassen, wie es andere taten. Das verlieh ihm in Russland politisches Gewicht.
Mit der neuen Anklage droht dem inzwischen Totalenteigneten vielleicht sogar der Tod. Denn jeder Aufenthalt in den als "Karzer" bezeichneten Löchern in russischen Straflagern bedeutet eine lebensgefährliche Unterkühlung, die Tuberkulose grassiert. Dass politische Gegner der Machthaber weggesperrt werden, dorthin, wo ihnen die physische Vernichtung droht - an diesem Prinzip hat sich in Russland seit Stalins Zeiten nichts geändert. Nur die Zahl der Opfer ist gesunken. Sie werden weniger nach dem Lotterieprinzip und eher nach der Art ihrer Aktivitäten ausgewählt.
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