Kommentar Rentensystem ist ungerecht: Der doppelte Rentenskandal
Ärmere sterben nicht nur früher, ihr frühzeitiger Tod wird auch noch ausgenutzt, um die höheren Renten der Besserverdienenden zu finanzieren.
D er deutsche Sozialstaat ist ungerecht - dieser Aussage stimmt inzwischen die Mehrheit der Bundesbürger zu. Und sie irren sich nicht. Das Rentensystem, zum Beispiel, verteilt gezielt von unten nach oben um. Ausgerechnet die Niedriglöhner zahlen für die Gutverdiener, wie jetzt noch einmal eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigt hat.
Wer gut verdient, stirbt auch später - kassiert also länger Rente, was automatisch die Rendite pro Beitrags-Euro steigert. Die Geringverdiener hingegen leben deutlich kürzer. Sie zahlen oft jahrzehntelang in die Rentenkassen ein, können davon aber kaum profitieren. Es ist aberwitzig, wie es der deutsche Sozialstaat schafft, einen Skandal auch noch zu verdoppeln: Nicht nur dass die Ärmeren früher sterben, was allein schon eine Schande ist - ihr zeitiger Tod wird auch noch ausgenutzt, um die höheren Renten der Bessergestellten zu finanzieren.
Es ist allerdings kein neues Phänomen, dass Geringverdiener eher sterben. Armutsforscher weisen darauf schon lange hin. Doch die Rentenreformer rund um Bert Rürup haben diese empirischen Daten einfach ignoriert - und stattdessen lieber die privat finanzierte Riester-Rente erschaffen. Diese soziale Ignoranz wird sich die Politik jedoch nicht mehr länger leisten können - und zwar ausgerechnet wegen der Riester-Rente. Sie wird die Altersarmut der Geringverdiener derart verschärfen, dass man handeln muss. Denn mit der Riester-Rente geht einher, dass das Niveau der staatlichen Rente sinkt. Davon sind besonders die Niedriglöhner betroffen, deren Rente sich ins Nichts auflöst.
Ein Rentensystem verliert jedoch seine Legitimation, wenn selbst lebenslange Beiträge kein Auskommen im Alter mehr sichern. Und so wird plötzlich sichtbar, was eigentlich unsichtbar bleiben sollte: dass die Geringverdiener bei der staatlichen Rente vor allem für andere zahlen.
Zugleich lässt sich nicht länger ignorieren, dass sich nicht jeder die Riester-Rente leisten kann. Die Hälfte der Deutschen besitzt maximal 15.000 Euro an Vermögen - ganz offenbar verdienen sie zu wenig, als dass sie substanziell fürs Alter sparen könnten. Die Rentenreform ist sechs Jahre alt. Und trotzdem schon überholt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid