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Kommentar Rentensystem ist ungerechtDer doppelte Rentenskandal

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Ärmere sterben nicht nur früher, ihr frühzeitiger Tod wird auch noch ausgenutzt, um die höheren Renten der Besserverdienenden zu finanzieren.

D er deutsche Sozialstaat ist ungerecht - dieser Aussage stimmt inzwischen die Mehrheit der Bundesbürger zu. Und sie irren sich nicht. Das Rentensystem, zum Beispiel, verteilt gezielt von unten nach oben um. Ausgerechnet die Niedriglöhner zahlen für die Gutverdiener, wie jetzt noch einmal eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bestätigt hat.

Bild: taz

Wer gut verdient, stirbt auch später - kassiert also länger Rente, was automatisch die Rendite pro Beitrags-Euro steigert. Die Geringverdiener hingegen leben deutlich kürzer. Sie zahlen oft jahrzehntelang in die Rentenkassen ein, können davon aber kaum profitieren. Es ist aberwitzig, wie es der deutsche Sozialstaat schafft, einen Skandal auch noch zu verdoppeln: Nicht nur dass die Ärmeren früher sterben, was allein schon eine Schande ist - ihr zeitiger Tod wird auch noch ausgenutzt, um die höheren Renten der Bessergestellten zu finanzieren.

Es ist allerdings kein neues Phänomen, dass Geringverdiener eher sterben. Armutsforscher weisen darauf schon lange hin. Doch die Rentenreformer rund um Bert Rürup haben diese empirischen Daten einfach ignoriert - und stattdessen lieber die privat finanzierte Riester-Rente erschaffen. Diese soziale Ignoranz wird sich die Politik jedoch nicht mehr länger leisten können - und zwar ausgerechnet wegen der Riester-Rente. Sie wird die Altersarmut der Geringverdiener derart verschärfen, dass man handeln muss. Denn mit der Riester-Rente geht einher, dass das Niveau der staatlichen Rente sinkt. Davon sind besonders die Niedriglöhner betroffen, deren Rente sich ins Nichts auflöst.

Ein Rentensystem verliert jedoch seine Legitimation, wenn selbst lebenslange Beiträge kein Auskommen im Alter mehr sichern. Und so wird plötzlich sichtbar, was eigentlich unsichtbar bleiben sollte: dass die Geringverdiener bei der staatlichen Rente vor allem für andere zahlen.

Zugleich lässt sich nicht länger ignorieren, dass sich nicht jeder die Riester-Rente leisten kann. Die Hälfte der Deutschen besitzt maximal 15.000 Euro an Vermögen - ganz offenbar verdienen sie zu wenig, als dass sie substanziell fürs Alter sparen könnten. Die Rentenreform ist sechs Jahre alt. Und trotzdem schon überholt.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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6 Kommentare

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  • P
    Peson

    Werte Frau Herrmann, ihrem couragiertes Eintreten für die Benachteiligten sei Dank. Sie sind in der Mainstream-Presse eine von wenigen.

     

    Zu ihrem Artikel jedoch noch einige Bemerkungen, die den ökonomischen "Renten-Sachverstand" der Schröder/Merkel-Regierung kennzeichnen:

    1. Riester-Rente hilft nur den Versicherungskonzernen, zu denen sich Herr "Prof." Riester jetzt auch öffentlich bekennt. Für die Rieter-Sparer wäre es günstiger ihr Geld auf ein Festgeldkonto zu deponieren.

    Natürlich hilft das den Einkommens-Schwachen auch nicht weiter.

    2. Es ist mir unverständlich, warum auf Kosten der Rentenbeitragszahler Reklame für private (Riester-)Versicherungskonzerne gemacht wird.

    3. Gleiches gilt auch für die Staatszuschüsse zu den Riester-Renten, die letztendlich auch in die Taschen der Versicherungsindustrie wandern.

    Es gibt dafür diverse Rechenbeispiele von Versicherungs-Mathematikern.

    (einfach bei http://nachdenkseiten.de/ recherchieren)

     

    Wenn man diese verpulverten Milliarden (Schätzung 1,5-2 Mill./Jahr) zur Aufbesserung der Mindestrenten nutzen würde wäre schon viel getan.

     

    Zu der Männer/Frauen-Renten-Bezugsdauer-Diskussion lässt sich nur sagen:

    Lasst euch nicht ablenken (Frauen verdienen z.B. in ihrer Berufszeit viel weniger) und konzentriert die Beträge auf den eigentlichen Skandal --- dem Unvermögen der SPD/CDU-Regierung eine gerechte umlagenfinanzierte Renten-Formel hinzukriegen.

  • F
    Farbenseher

    Zitat: "Irgendwie fehlt mir noch der Hinweis darauf, dass Männer im Schnitt 5 Jahre früher sterben als Frauen. Übrigens nicht wegen ihrem „schlechten“ Lebensstil, sondern wegen ihrem Arbeitspensum!"

     

    Genau, wegen Ihres gewaltigen Arbeitspensums und ihrem stetigen Bestreben nach Weltfrieden und Gerechtigkeit für Alle. Das zehrt natürlich an der Substanz und trägt zum frühzeitigen Ableben in viel größerem Maße bei als Bier, Schweinebauch im Speckmantel und Kettenrauchen.

     

    Nur so zur Info: Das sich die durchnittliche Lebenserwartung von Mann und Frau langsam angleicht ist tatsächlich auf den im Verhältnis gestiegenen Anteil an Raucherinnen zurückzuführen. Behaupten jedenfalls einige völlig weltfremde Wissenschaftler am deutschen Krebsforschungsinstitut.

  • RG
    Roland Geibel

    Wenn das ernst waere, dann muesste man die Renten der laengerlebenden (Frauen) kuerzen

    und die Renten der kuerzerlebenden (Maenner) erhoehen.

    Ist dass wirklich so gemeint?

     

    Roland Geibel

  • K
    Kalkül

    Es gibt Menschen mit viel und solche mit wenig Geld. Wer viel Geld hat, der bringt es zur Bank und läßt es dort Kinder kriegen. Durch den Zinseszins wächst das Vermögen daraufhin exponentiell an. Diese hohen Zinsen müssen nun von irgendwo herkommen, denn jeder Euro, egal von wo, muss erwirtschaftet werden. Und wer erwirtschaftet dieses Geld? Ich gebe euch einmal einen Tipp. Die Reichen sind es nicht.

    Mit den Jahren wird der Berg an Zinsen für gelagertes Geld immer größer und größer. Die Banken müssen diese Gelder ja auch irgendwie einbringen. Mit der sogenannten Privatvorsorge haben sie eine erneute Einnahmequelle gefunden. Der Arbeiter zahlt fleißig hinein und bezahlt somit die Zinsguthaben der reichen Menschen.

    Und wenn es dann einmal soweit sein sollte, dass all diese kleinen Einzahler ihr Rentenalter zu größeren Massen zeitgleich erreichen, werden sie sich wundern, weil nichts mehr da ist. Die Banken können nämlich diese vielen Renten nicht bezahlen, selbst wenn sie es wollten. Das ist rechnerisch überhaupt nicht möglich.

    Aber der Mensch braucht eben immer sehr, sehr lange bis ihm das schwere Brett vom Kopfe fällt.

    Bis dahin wünsche ich jedem das Geschenk der frühen Erkenntnis.

  • K
    KdN

    Irgendwie fehlt mir noch der Hinweis darauf, dass Männer im Schnitt 5 Jahre früher sterben als Frauen. Übrigens nicht wegen ihrem „schlechten“ Lebensstil, sondern wegen ihrem Arbeitspensum!

  • RG
    roland geibel

    Wenn man das ernst nehmen wollte, dann muesste man die Rente der laengerlebenden (Frauen)

    verringern und dafuer die Rente der kuerzerlebenden (Maenner) erhoehen.

    Ist das wirklich so gemeint?

     

    Roland Geibel