Kommentar Regionalwahl in Graz: Eine singuläre Erscheinung
Die Grazer Kommunisten demonstrieren seit Jahren, wie man mit einem einzigen Thema Profil gewinnen kann. Kopiert werden kann das Vorbild nicht.
G raz tickt anders. Dort sind Kommunisten nicht nur salonfähig, sondern sogar Sympathieträger. Die KPÖ, die überall sonst in der Republik durch Vergreisung auszusterben droht, ist in der Hauptstadt der Steiermark eine prägende Kraft und ein Sammelbecken für Proteststimmen. Das hat sie bei der Gemeinderatswahl am Sonntag, bei der sie mehr als 20 Prozent der Stimmen erhielt, wieder eindrucksvoll bestätigt.
Die Grazer Kommunisten demonstrieren seit eineinhalb Jahrzehnten, wie man mit einem einzigen Thema Profil gewinnen kann. So wie die FPÖ monothematisch gegen Zuwanderer trommelt, setzt die KPÖ fast ausschließlich auf das von anderen Parteien vernachlässigte Thema Wohnen. Die Diktatur des Proletariats ist ihr kein Anliegen, es geht um Handfestes.
Nachdem ihr Vertreter Ernest Kaltenegger 1998 das Wohnungsressort im Stadtsenat übernahm, verbesserte sich die Lebensqualität für die Grazer Unterschicht spürbar. Substandardwohnungen wurden saniert, Mietwucher bekämpft, ein Mieternotruf eingerichtet. Kalteneggers Nachfolgerin, die 51-jährige Elke Kahr, setzte diese Politik fort. Sie steht auch bezüglich persönlicher Glaubwürdigkeit in der Tradition Kalteneggers. Mit ihrem eigenen Gehalt speist sie einen Mieterfonds, aus dem in Notfällen Rechtsberatung oder unbürokratische Unterstützung finanziert werden. Damit hat sie auch ein zweites Thema besetzt: Sauberkeit in Zeiten grassierender Korruptionsskandale.
Aber das Grazer Vorbild konnte nicht einmal von den eigenen Parteisektionen in anderen Städten und Bundesländern kopiert werden. Mit Ergebnissen unter oder knapp über ein Prozent kommen KPÖ-Leute woanders gar nicht in die Nähe von Machtpositionen, die es ihnen erlauben würden, in der Realpolitik Duftmarken zu setzen. Deswegen werden die Grazer Kommunisten wohl auch in Zukunft eine singuläre Erscheinung bleiben. Und Proteststimmen werden in Österreich weiterhin die Rechte stärken.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
EU-Antwort auf Putin und Trump
Zu wenig und zu spät
Protestaktion gegen CDU-Chef Merz
Alle Tassen im Konrad-Adenauer-Haus?
CDU-Politiker boykottiert Radio Bremen
Zu links, zu grün, zu schlecht
Kopftuchstreit in Spanien
Glaube und Feminismus
USA in der Ukraine
Geheime Verhandlungen mit der Opposition