Kommentar: Rauchverbot in Bayern: Politikbetrieb abgeraucht
An der bayerischen Dauerdebatte um den Raucherschutz sind nicht nur die Christdemokraten schuld. Trotzdem: die Politiker haben die Volksmeinung hier völlig falsch eingeschätzt.
W enn ihnen der Sinn fürs Populäre abhandenkommt, haben Populisten ein Problem. Diese Erfahrung musste die bayerische CSU machen, die sich im Streit übers Rauchverbot mehrfach wendete. Erst beschloss sie den besten Nichtraucherschutz der Republik, dann verschlechterte sie ihn wieder unter dem Eindruck ihrer Wahlniederlage - um nun, vom Bürgervotum gedrängt, zur Ausgangsfassung zurückzukehren.
Es wäre aber zu einfach, das Debakel allein den Christsozialen zuzurechnen. Gerade weil das Thema so übersichtlich ist, legte der Dauerstreit übers Rauchverbot die Krise des deutschen Politikbetriebs schonungslos bloß. Von der Macht zahlungskräftiger Lobbyverbände über die skurrilen Verästelungen des deutschen Föderalismus bis hin zum Schielen auf kurzfristige Umfragewerte zeigten sich hier alle Mechanismen der Selbstblockade. Aus der Sicht europäischer Nachbarländer wie Italien, wo ein einheitliches Rauchverbot seit Jahren reibungslos funktioniert, ist die deutsche Dauerdebatte jedenfalls kaum nachvollziehbar.
Der Zwang zu Kompromiss und Konsens ist für sich genommen nichts Schlechtes, er kann oft auch heilsam sein und krasse Fehlentscheidungen verhindern. Über die Macht der Fakten und die Gesetze der Logik kann sich Politik aber, zum Glück, am Ende nicht hinwegsetzen. Wer den Grundsatz einmal akzeptiert hat, dass die Freiheit der persönlichen Lebensführung dort endet, wo sie die körperliche Unversehrtheit anderer konkret verletzt (und keineswegs nur abstrakt gefährdet) - der wird sich schwertun, die zahlreichen Lücken im Nichtraucherschutz auf Landesebene zu legitimieren.
Nach den Zensurgesetzen fürs Internet ist die Verweigerung eines wirksamen Nichtraucherschutzes nun das zweite große Thema, bei dem sich maßgebliche Politiker in ihrem Urteil über die sogenannte Volksmeinung völlig verschätzt haben. Die Gesellschaft ist inzwischen offenbar bunter, respektvoller und freiheitsliebender, als es sich die Anwälte einer angeblich schweigenden Mehrheit ausmalen. Vielleicht sollte das ein Anlass sein, über Instrumente der direkten Demokratie neu nachzudenken. Volksabstimmungen sind gewiss kein Allheilmittel gegen Defizite des Politikbetriebs, und ihre Ergebnisse sind oft keineswegs innovativ. Aber am Ende einer quälenden Debatte, in der sich die Akteure hoffnungslos verrannt haben, können sie ungemein befreiend wirken.
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