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Kommentar Rainer BrüderleVerschweigen und verplappern

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Der BDI beteuert, der Protokollant müsse Brüderle falsch verstanden haben. So verzweifelt kann Schadensbegrenzung klingen. Die Wähler werden es richtig verstehen.

A ngela Merkel hatte gerade das mit viel Verantwortungsethik ausstaffierte Atom-Moratorium verkündet, da versicherte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle den deutschen Industriechefs, das sei nicht ernst gemeint, nur eine Wahlkampfaktion. Man kann es so sehen: Rainer Brüderle hat damit immerhin einmal die Wahrheit gesagt. Und: Eine Regierung, die Brüderle in ihren Reihen hat, braucht keine Gegner mehr.

Doch dieser PR-Unfall beleuchtet vor allem schlaglichtartig, wie doppelzüngig die halbe Wende von Schwarz-Gelb in der Atompolitik ist. Schwarz-Gelb hat vor einem halben Jahr mehr Atomkraft durchgesetzt. Seit Fukushima gilt: Schwarz-Gelb will Atomkraftwerke abschalten und vielleicht schneller aussteigen.

Allerdings hält die Regierung an der Laufzeitverlängerung für die AKWs fest. Schwarz-Gelb will also weniger Atomkraft - aber vor ein paar Monaten mehr gewollt zu haben war auch völlig richtig. Wendemanöver in prinzipiellen Fragen verlaufen nie unfallfrei.

taz

STEFAN REINECKE ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.

Um den Totalschaden zu vermeiden, hätten Merkel & Co wenigstens erklären müssen, dass die Laufzeitverlängerung ein Fehler war. Einfach, weil man nicht für mehr und für weniger AKWs sein kann. Derzeit sind sieben AKWs vom Netz genommen. Laut Schwarz-Gelb (Modell letzter Herbst) ist das eigentlich unmöglich, weil Stromlücken drohen. Schwarz-Gelb (Modell vor dem 27. März) sieht das Problem nicht. Und Schwarz-Gelb nach dem 27. März?

Der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI beteuert nun, der Protokollant müsse Brüderle falsch verstanden haben. So verzweifelt kann Schadensbegrenzung klingen. Die Wähler werden jedenfalls richtig verstehen, was Brüderle und Mappus wollen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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11 Kommentare

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  • P
    Paria

    Was lernen wir daraus? Die Wahrheit zu sagen hat noch lange nichts mit Ehrlichkeit zu tun, wenn nur ein paar Auserwählte diese Wahrheit zu hören bekommen.

     

    Es wäre an der Zeit für Neuwahlen.

  • S
    Stimmvieh

    Dass Brüderle hier einmal die Wahrheit gesagt und das Offensichtliche festgestellt hat, kann man ihm kaum zum Vorwurf machen. Dass Schwarz-Geld nach dem schrecklichen Erdbeben in Japan keinen völligen Sinneswandel durchlebt hat, lag und liegt ja auf der Hand.

    Aber dass die PolitikerInnen aus Union und FDP sich einerseits jetzt vor die Öffentlichkeit stellen und tiefe Besorgnis um die Sicherheit der deutschen KKWs heucheln, die doch angeblich vor wenigen Wochen noch mit zu den sichersten der Welt gehören sollten, und dann andererseits in vermeintlich trauter Runde wiederum erklären, das sei ja alles nur ein Wahlkampfmanöver, zeigt einmal mehr wofür Schwarz-Geld steht: Für verlogene Lobbypolitik zugunsten zahlungskräftiger Interessengruppen, umgesetzt auf Kosten der Allgemeinheit.

     

    (Wobei man auch noch festhalten muss, dass wir unter Rot-Grün ja nur unwesentlich besser dran waren, insofern ist diese Art Politik zu machen, vielleicht wirklich "alternativlos"...)

  • PG
    Peter Gbiorczyk

    Brüderle hat die Wahrheit mehr oder weniger deutlich ausgesprochen, um die Atomkraftbefürworter der eigenen Klientel und aus CDU/CSU vor den Wahlen am Sonntag für seine Partei zu gewinnen, damit es für die fünf Prozent reicht. Einer musste intern abgesprochen diesen Versuchsballon für die FDP steigen lassen. Man sollte diese langjährigen Profis in der Politik nicht für so naiv halten, dass sie sich "verplappern".

  • G
    gerd.

    @Werner

    "Von welchem anderen Politiker ist denn so eine ehrliche Äußerung zu Wahlkampfverarsche dokumentiert?"

     

    Da fällt mir jemand ein: Claudia Nolte. Die erzählte auf einer Wahlkampfveranstaltung '98, dass die Mehrwertsteuer erhöht werden solle. Das stand zwar auch in einer CDU-Broschüre zur Steuerreform, durfte aber offensichtlich wahlkampftaktisch nicht geäußert werden und hat damit ihr bundespolitisches Ende besiegelt.

    Wobei diese Form der Wahlkampfverarsche sicher weitaus geläufiger ist, geplante Themen wegzulassen, als welche für den Wahlkampf extra hinzuzuerfinden, wie es aktuell der Fall ist.

  • OV
    Otto von Bismarck

    Formulieren wir es doch mal positiv: Merkel hat eine ausgesprochen gut entwickelte Ambiguitätstoleranz! Sie hat diese überwältigende Kapazität nicht an den gewaltigen gegenläufigen Kräften zu zerbrechen, mit denen sie in ihrer Dialektik hantiert. Das sind doch tolle Eigenschaften!

     

    Und unsere Heldin wird so ausgestattet nun in einen Konflikt geworfen, den sich ein Shakespear oder Schiller nicht besser hätte ausdenken können. Gespannt hart man als Bürger der Dinge die da kommen -- was mag wohl das Ergebnis dieses Abwägungsprozesses sein?

     

     

    ---

    Spoiler-Alert:

     

    Am Ende entscheidet sich die Heldin, den schnöden Mammon links liegen zu lassun, und reitet mit Prinz Sofortiger-Atomausstieg in den Sonnenaufgang. Dann kommen die Credits und am Ende das Disney-Logo.

    ---

  • S
    snoopy

    Die Politik hat schon so viel Respekt vor der Lobby, dass sie schon ihre eigenen Lügen verrät. Gleich einem kleinen Jungen, der im Beichtstuhl einem fremden "Affen" seine Sünden offenbart.

  • JA
    Jan Alexander

    Danke für diesen treffenden Kommentar!

     

    Protokolle erblicken übrigens gar nicht erst das Licht der Welt, wenn sie nicht mindestens von ein bis zwei verantwortlichen Personen, die während der Sitzung anwesend waren, unterzeichnet und gebilligt sind. Ein derart gavierender "Protokollfehler" wäre also kaum unentdeckt geblieben.

     

    So eine billige Ausrede! Da muss man - kurz vor den Wahlen - schon ziemlich verzweifelt sein. Gut, dass manchmal doch die Wahrheit siegt.

  • U
    Ultramat

    Das war kein freundscher Versprecher unter Gleichgesinnten. Das ist pure Berechnung und volle Absicht gewesen. Ich sag Euch was: Der Brüderle will selber das Ruder im Kanzleramt übernehmen, aber wie ?

    Na mit der WAHRHEIT. Ja, so isses. Er hat selber gemerkt, dass man mit Lügen und Betrügen heutzutage beim Wahlvolk keine Punkte mehr machen kann. Da hat ihm sein PR-Mangager zum radikalen Kurswechsel überredet. Wo sich doch gerade Merkel und Westerwelle atompolitisch um 720 Grad gedreht haben, legt Brüderle nochmal 180 Grad oben drauf, um 2013 glaubhaft darlegen zu können, damals (also heute) schon die WAHRHEIT gesagt zu haben. Brüderle denkt da langfristig. Der ist aber auch ein schlaues Kerlchen. Diese Taktik kommt aus der Bankenbranche. Das nennt man da FUTURE. Das sind die Zockereien, welche uns die Wirtschaftkrise eingebrockt haben. Brüderle macht daraus TRUTHFUTUREVOTING´s. Na mal sehen, wie lange die Beine der WAHRHEIT ihn tragen werden !?

    .

  • B
    Bitbändiger

    Da möchte man Herrn Brüderle doch fast zutiefst bedauern: Da redet er ein Mal KEINEN Stuss, und schon isch au wieder net recht!

  • W
    Werner

    Ich muss hier mal eine Lanze für Brüderle brechen:

     

    Buchstäblich seid dem Augenblick, in dem das Moratorium verkündet wurde, werfen so ca. 200% aller Leute und aller Medien der Regierung vor, das wäre doch nur ein wahltaktisches Manöver usw., verlogen, Wahlbetrug, man kennt die Leier.

     

    Jetzt gibt es endlich mal ein Politiker zu und das ist dann auch wieder nicht richtig? Leute, also ehrlich: Euch kann mans doch nie recht machen.

     

    Schon klar, dass er sich verplappert hat, und dass er eines dieser opportunisistischen Wahlmanöver-Arschlöcher ist. Trotzdem ist er offenbar in der Lage, die Wahrheit zu sagen und tuts auch. Jaja, vor handverlesenem Publikum usw., alles geschenkt, aber der Fakt, dass Brüderle wenigstens die Wahrheit sagt, bleibt einfach.

    Von welchem anderen Politiker ist denn so eine ehrliche Äußerung zu Wahlkampfverarsche dokumentiert, in welchem Zusammenhang auch immer?

     

    Eben.

  • FB
    Franz Beer

    Als Wähler der Grünen ,,tut es mir im Herzen weh,, wenn Ich sehe wie Brüderle Merkel Mappus u co einfach alles tun ,so lächerlich es auch erscheint mag die Wahlen zu gewinnen. Was ist nach den Wahlen,diese ,In die Oposition, Wer glaubt Ihnen noch irgendwas? Merkel u Co haben sich nun völlig ins Abseits gestellt. Konservatismus ist Stillstand.CDU CSU FDP haben innerhalb weniger Monate die Zeit in Deutschland um Jahrzehnte zurückgedreht.Traurig was Menschen machen um Macht zu behalten.Einfach fast alles.