Kommentar Privatuni Witten/Herdecke: Das Modell ist gescheitert
Die derzeitige Finanzkrise der Universität Witten/Herdecke zeigt deutlich, wie wenig Interesse die Wirtschaft an Projekten hat, die unabhängig bleiben wollen.
E in Gegenentwurf zur staatlich gelenkten Massenuniversität sollte die Universität Witten/Herdecke sein. Zugleich hatten die anthroposophisch inspirierten Gründer aber auch keine private Schmalspurhochschule mit billigen, renditeträchtigen Studiengängen im Sinn, sondern wollten auch dazu eine Alternative bieten. Doch nun streicht das Land Nordrhein-Westfalen seine jährliche Millionenunterstützung. Nach wichtigen Sponsoren verliert Deutschlands älteste Privatuni damit ihre zweite tragende finanzielle Säule. Das Modell Witten/Herdecke ist gescheitert.
Die Kluft zwischen universitären Ansprüchen und der Realität trat immer wieder zutage. Die Hochschule, die "zur Freiheit ermutigen" wollte, suchte Hilfe beim Staat, wenn sich die privaten Gönner abwandten. Zuletzt ließ die Droege International Group in diesem Jahr ihre Zusagen platzen. Dass das Land Nordrhein-Westfalen sein Geld nun lieber in die eigenen klammen Hochschulen steckt, statt für unzuverlässige Sponsoren einzuspringen, kann man ihm nicht wirklich verübeln.
Die chronische Geldknappheit stellte auch das beispielhafte Studiengebührenmodell der Uni infrage. Jahrelang galt das Gebührenstudium in Witten/Herdecke als vorbildlich, weil sozial gerecht. Die Studierenden verwalteten ihre Beiträge selbst und legten auch deren Höhe fest, ganz nach dem Motto: "Wer viel verdient, zahlt viel. Wer wenig verdient, zahlt nicht." So die Idee. Doch mit diesem Geld mussten immer größere Löcher im Etat gestopft werden. Seit letztem Herbst kostet ein Studium bis zu 60.000 Euro. Einen derartigen Schuldenberg anzuhäufen wagt nicht jeder - selbst wenn er diese Summe nach dem Abschluss abstottern kann. Dass über die Hälfte der Studierenden ihre Gebühren sofort zahlt, zeigt, welche soziale Schicht dort tatsächlich den Ton angibt.
Die aktuelle Krise der Uni Witten/Herdecke geht deshalb nicht auf Staatsversagen oder geizige Studierende zurück. Sie zeigt vielmehr, wie wenig die hiesige Wirtschaft von Projekten hält, die unabhängig bleiben und nicht primär den Interessen der Industrie dienen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies