Kommentar Polizeigewalt: Fäuste unter Kontrolle halten
Das Amtsgericht stellt klar: "Schubser" sind kein Kavaliersdelikt. Polizisten müssen sich auch in aufgeheizten Situationen endlich zurücknehmen.
R uppige Szenen wie diese kann man oft beobachten, wenn geschlossene Einheiten bei unübersichtlichen Gemengelagen in Stress geraten: Ein Polizist verpasst einem Demonstranten einen Faustschlag in den Rücken. Der Getroffene taumelt, stürzt aber nicht. Gewöhnlich bleibt so etwas folgenlos. Und auch dieser Vorfall wäre wohl ungeahndet geblieben, hätte nicht ein Beobachter sein Video ins Internet gestellt. Und wäre der Schlag nicht bei der "Freiheit statt Angst" im September 2009 gefilmt worden. Denn die ist durch einen anderen Fall in die Schlagzeilen geraten: Ein Radfahrer, besser als "Mann in Blau" bekannt, wird am Rand der Demo von Polizisten schwer misshandelt. Die Schläger sind bis heute nicht angeklagt - aber das ist ein anderer Skandal.
Demgegenüber war der Faustschlag, der am Montag vor Gericht verhandelt wurde, fast harmlos. Trotzdem ist der 29-jährige Beamte verurteilt worden. In seltener Klarheit hat das Gericht festgestellt, der von dem Angeklagten als Schubser deklarierte Schlag war mitnichten ein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat. Fazit: Auch in aufgeheizten Situationen kann von Polizisten verlangt werden, die Ruhe und den Überblick zu bewahren.
Das Urteil wird in der Polizei für Diskussionen sorgen. Die Gewerkschaften sind längst der Meinung, dass Polizisten die eigentlichen Opfer sind, weil sie zunehmenden Attacken wehrlos ausgesetzt sind. Das alles ändert nichts daran, dass Polizisten lernen müssen, ihre Fäuste besser unter Kontrolle zu halten. Was bislang durchging, weil es nicht nachweisbar war, ist durch die Handy- und Videofilmtechnik justiziabel geworden. Beamte, die das nicht wahrhaben wollen, sollten sich schleunigst eine Rechtsschutzversicherung zulegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag