Kommentar "Ossi"-Ablehnung: Rassismus gegen Ostdeutsche?
Das Stuttgarter Arbeitsgericht darf den Fall der als "Ossi" abgelehnten Buchhalterin nicht als Bagatelle bewerten.
Sind Ostdeutsche ein eigener Volksstamm? Natürlich nicht, aber das ist auch die falsche Frage. Denn um Rassismus als solchen zu benennen, spielt es ja auch keine Rolle, ob es so etwas wie menschliche "Rassen" überhaupt gibt. Entscheidend ist, ob jemand aufgrund seiner Herkunft oder äußerer Wesensmerkmale benachteiligt wird. Das war bei der Buchhalterin Gabriela S., die sich bei einer Stuttgarter Firma um einen Job bewarb, offenbar der Fall. Warum sonst versah das Personalbüro ihre Unterlagen, die sie der Bewerberin mit einer Absage zurück sandte, mit dem Begriff "Ossi" und mit einem Minuszeichen?
Viele Deutsche in Ost und West empfinden sich gegenseitig auch 20 Jahre nach dem Mauerfall noch immer als fremd und andersartig: zahlreiche Bücher wurden darüber geschrieben, unzählige Witze gerissen. Außer Frage steht auch, dass manche Ressentiments gegen "Jammer-Ossis" und "Besser-Wessis" rassistische Züge tragen. Zum Beispiel, wenn allen Ostdeutschen pauschal kollektive Charaktereigenschaften - etwa Naivität, Autoritätsgläubigkeit oder Fremdenfeindlichkeit - nachgesagt werden. Oder, dass aus Vorurteilen konkrete Ausgrenzung folgen kann. 64 Prozent der Ostdeutsche fühlen sich deshalb als "Bürger zweiter Klasse", stellte der Soziologe Heitmeyer vor zwei Jahren in einer Studie fest.
Nur selten wird eine Diskriminierung aber so greifbar wie im Stuttgarter Fall. Darum wäre es falsch, ihn als Bagatelle oder Kuriosum abzutun, wie das viele westdeutsche Medien bezeichnenderweise schon getan haben. Ob das Stuttgarter Arbeitsgericht dies auch so sieht? Mit einer Geldstrafe würde es zeigen, dass es keinen Unterschied macht, ob jemand benachteiligt wird, weil er einen türkischen Nachnamen trägt oder weil er im Osten der Republik geboren wurde: beides ist gleich unerträglich.
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