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Kommentar Orkan „Xaver“Sturmgeheule wie am Lager Vier

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Ein Orkan ist nicht einfach nur schlimm. Er erfüllt auch unsere Sehnsucht nach Naturgewalten. Davon leben ganze Branchen.

Nach „Xaver“ ist vor dem nächsten Orkan: Da kennt die Natur nichts. Bild: dpa

A m Ende kam es in Deutschland nicht so schlimm wie befürchtet: Die Deiche hielten, niemand wurde von umstürzenden Bäumen, herabfallenden Ziegeln tödlich getroffen.

Die Voraussagen der Meteorologen und die Vorsichtsmaßnahmen angesichts des Orkans „Xaver“ haben gegriffen. Ein Orkan wie „Xaver“ schafft Risiken – aber auch ein paar wohlige Nebenwirkungen, an denen sich vor allem jene freuten, die nicht gerade auf einer Hallig festsaßen oder im Internet die Stornierung ihrer Zugverbindung entdeckten.

Die Bedrohung durch eine Naturgewalt jagt dem Stadtmenschen einen wohligen Schauer über den Rücken und stiftet ein Gemeinschaftsgefühl, für das man keinen Eintritt bezahlen muss: Die Sondersendungen zu „Xaver“, in denen es vor Superlativen („der schlimmste“, „der gewaltigste“) wimmelte, entwickelten sich am Donnerstag zu Quotenhits.

Es gab nur eine Sendung am Donnerstagabend, die nichts mit „Xaver“ zu tun hatte und trotzdem Millionen Zuschauer anzog: Der „Bergdoktor“, in dem Sturm, Regen und Eis auch eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Ein bisschen „Xaver“ in den Metropolen erfüllt unsere Sehnsucht, die Naturkräfte zu spüren.

Es geht um Höheres

Wenn der Sturm nachts mit hohen Windgeschwindigkeiten ums Haus heult, darf man sich ein bisschen fühlen wie im Lager Vier am Mount Everest, nur eben ganz ohne Risiko. Und wer vor die Tür geht und sich auch nur eine halbe Stunde durch die Windböen und das Schneetreiben kämpfte, hatte das satte Gefühl, endlich habe sich der Erwerb der winddichten Northface-Jacke mit Nanuk-200-Innenfleece und dem fetten Herstellerlogo gelohnt.

Da trifft es sich, dass bunte Daunenjacken (die mit Kammerfüllung, nicht die gesteppten) derzeit besonders angesagt sind. Die Dinger sind eigentlich viel zu warm für die Stadt. Dank „Xaver“ aber musste man die Jacken jetzt bis zum Kinn schließen und gottseidank haben sie diese neuen elastischen Kapuzen, die so eng am Kopf anliegen wie Badehauben. Das sieht zwar doof aus, aber schließlich geht es um Höheres, wenn ein Sturm durch die Straßen fegt. Technologie ist alles.

Nur schade, dass allradgetriebene Geländewagen sich nicht so gut für einen Orkan eignen wie tiefliegende Sportautos alten Stil: Die hohen Karosserien werden leicht von den Windböen zur Seite gedrückt. „Xaver“ ist der Beweis: Es gibt sie noch, die Naturgewalten. Wir bilden uns das nicht nur ein. Das ist doch ganz beruhigend. Nicht nur, wenn wir mal wieder im Outdoorladen stehen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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2 Kommentare

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  • A
    AusdemNorden

    P. S. Aus zeit.de ["Alles nur Alarmismus?"/6. Dezember 2013 18:23 Uhr]:

     

    "Den offiziellen Spitzenwert für die Nordseeinsel gibt der Deutsche Wetterdienst (DWD) mit 148 Kilometern pro Stunde an. Den offiziellen Rekord für Deutschland hält Glücksburg-Meierwik in Schleswig-Holstein. Dort erfasste eine DWD-Messstation während Orkan Xaver seine Böen von Westen und Nordwesten schickte, eine Windgeschwindigkeit von 158 km/h."

     

    Toller Kick, wenn das persönliche Lager 4 keine zwei km von Meierwik entfernt liegt.

  • A
    AusdemNorden

    Diese Superlative lasst ihr, liebe Medien, zu denen auch die TAZ gehört, massig vom Stapel. Vor Xaver zu warnen, in den Köpfen der Menschen eine Bewusstsein für Gefahr zu wecken, war gewiss nicht falsch. Wetter kann immer nur prognostiziert werden. Dabei können Meteorologen daneben liegen - nach oben, wie nach unten.

     

    Mag sein, dass es eine paar verstrahlten Großstädtern ein Kick verschafft, in unserer Kleinstadt hat keiner Bock auf Kicks, denn hier stehen massenhaft Häuser ohne Dächer, die von »Christian« abgetragen wurden - ganz einfach, weil der Schaden so groß ist, dass die Handwerksbetriebe nicht mehr mit der Reparatur hinterherkommen. Für die Menschen, denen es gestern die Plastikfolien vom Dach gerissen hat, ist »Xaver« eine Katastrophe aber gewiss kein Kick. Sehnsucht nach einer Naturgewalt hat hier niemand und wohlige Nebenwirkung hat hier auch keiner verspürt. Was für ein hohles Geseier!