Kommentar Online-Netzwerk Google+: Und noch eine Accountleiche
Mit Google+ will das führende Internetunternehmen endlich Facebook im Bereich der Online-Netzwerke Konkurrenz machen. Doch das wird schwierig werden.
E in bisschen Facebook, ein wenig Diaspora, dazu reichlich Erfahrungen aus den eigenen Google-Netzwerken Orkut und Buzz sowie aus dem (schon wieder eingestellten) E-Mail-Ergänzungsprogramm Wave - und fertig ist //plus.google.com:Google+.
Google ist kaum angefochten die Nummer 1 im Netz - dem Wachstum von Facebook zum Trotz. Können Millionen Suchmaschinen-, Maps-, Street-View- und Fotonutzer irren? Ja, können sie, ist aber auch nicht weiter wichtig. Wird Google+ dank Millionen Google-Nutzern so zum Selbstläufer? Keineswegs. Online-Netzwerke sind Googles Sache nicht. Google Wave ist nicht mehr, Google Buzz dümpelt vor sich hin, Orkut mag der heiße Scheiß sein - in Brasilien, Indien und bei der Landbevölkerung im Iran. Sonst aber nirgends.
Google+ ist ein grundsolides Netzwerk. Eine Videochatfunktion weist nach vorne, ansonsten ist alles da, was auch die Konkurrenz zu bieten hat: Chat, E-Mail, Einteilung von Nutzern in verschiedene Gruppen, damit nicht jeder mit allem konfrontiert wird. Eine Toolbar verbindet + mit dem Rest des Google-Universums, die Funktionen "+1" und "Sparks" dienen genuin der Vernetzung und der nicht ganz unwichtigen Online-Bauchpinselei - was wäre Twitter ohne Favstar, was Facebook ohne "gefällt mir"?
Maik Söhler (41) ist Chef vom Dienst bei taz.de. Er zieht neue Netzwerke alten Seilschaften vor.
"Zeitfresser" und Datenschutz
Allerdings: Auch Buzz und Wave waren grundsolide. Ihr Misserfolg hat mit den gebotenen Funktionen wenig, mit der Präsenz von Twitter und Facebook dafür umso mehr zu tun. Nur Spezialisten brauchen weitere Netzwerke, nur Freaks fühlen sich permanent untervernetzt. Ansonsten ist der Markt gesättigt, Beschwerden über die "Zeitfresser" vernimmt man mittlerweile ebenso häufig wie Zuneigungsbekundungen.
Auch Datenschutz-affine Nutzer werden Google nun nicht die Bude einrennen, im Gegenteil: Googles Umgang mit Nutzerdaten bleibt, sagen wir es vorsichtig: suboptimal. Mit Diaspora und Identi.ca sind Datenschützer gut bedient. Warum also der erneute Versuch von Google, mal wieder mit einem neuen Netzwerk landen zu wollen? Weil es keine Alternative gibt. Der Konzern muss Facebook entgegentreten, um nicht an Bedeutung zu verlieren.
Doch es ist mehr als nur Verzweiflung, was Google antreibt. Wie so oft macht Google einfach mal und schaut dann, was passiert. Gmail, Books, Chrome - wo andere Unternehmen akribisch einen Plan verfolgen, wenn es um neue Produkte geht, übergeht Google oft das Ankündigungs- und Präsentationsprozedere und stellt es einfach online. Was soll dabei auch schief gehen? Wenn + floppt, kommt in anderthalb Jahren halt der nächste Versuch. Wen interessiert schon eine weitere Accountleiche?
Mit jedem dieser Versuche lernt Google hinzu. Jeder neue Versuch ist besser als sein Vorgänger. Trial & error. Selbst wenn Google irgendwann seine Bemühungen im Bereich der Online-Netzwerke einstellen sollte, so blieben doch genügend Erfahrungswerte aus diesen Versuchen übrig, die sich anderweitig nutzen ließen. Wer + in diesem Sinne interpretiert, begreift schnell: Google wird mit + kein Minus machen.
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