Kommentar Ölpreis: Öl als Totschlagargument
Der hohe Ölpreis ist praktisch, um Subventionen zu verlangen und hält als Erklärung für alle Wirtschaftsprobleme her. Dabei wird ein Sachzwang konstruiert, der Konflikte verschleiern soll.
Viele Lobbyisten und auch Politiker scheinen nur darauf gewartet zu haben, dass der Ölpreis in die Höhe schießt. Denn unermüdlich werden nun neue Subventionen eingefordert. Die Spediteure verlangen, dass die Maut nicht erhöht wird. Die mittelständische Wirtschaft möchte, dass die Energiesteuern sinken. Und die CSU will die Pendlerpauschale wieder einführen. Entsprechend aufgeregt geraten die Horrorszenarien. Man kann sich heute kaum noch "Wirtschaftsführer" nennen, ohne nicht einen Verlust von bis zu 200.000 Arbeitsplätzen anzukündigen - wegen des hohen Ölpreises natürlich.
Aber der hohe Ölpreis ist nicht nur praktisch, um Subventionen zu verlangen. Er eignet sich auch als argumentative Allzweckwaffe, um jede Art von Wirtschaftsproblem zu erklären. Der Konsum in Deutschland zieht nicht an? Das muss am Ölpreis liegen. Der Aufschwung geht zu Ende? Hat bestimmt auch mit dem Ölpreis zu tun. Die Löhne steigen in Deutschland eher verhalten? Das müssen sie auch, sonst würden sie ja die Inflation anheizen - schließlich explodiert der Ölpreis. Da sind höhere Gehälter für die Unternehmer leider nicht mehr zu verkraften.
Naheliegende Fragen lassen sich mit dem Ölpreis bequem abwehren. So ist nicht mehr diskutierbar, ob die deutsche Wirtschaft nicht vielmehr daran krankt, dass seit 1995 die Reallöhne nicht mehr steigen - und das gesamte Wachstum nur noch den Kapitalbesitzern zugutegekommen ist.
Aber das sind ja recht abstrakte Erwägungen - der Ölpreis hingegen hat den Vorteil, als Argument intuitiv unmittelbar einleuchtend zu sein. Die Preisexplosion an der Tankstelle schmerzt jeden Autofahrer. Da fällt dann gar nicht mehr auf, dass die Energiekosten noch immer niedrig liegen, wenn man bedenkt, wie sehr die gesamtgesellschaftliche Kaufkraft seit den 70er-Jahren gestiegen ist.
Der "Ölpreis" hat beste Chancen, das Totschlagargument von der "Globalisierung" zu ersetzen, das auch nie etwas erklärt hat. In beiden Fällen besteht der Trick darin, einen angeblichen Sachzwang zu konstruieren, gegen den die Interessenkonflikte innerhalb der Gesellschaft zweitrangig erscheinen.
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