Kommentar Microsoft gibt Quellcodes preis: Die Festung ist geknackt
Microsoft will transparenter werden. Für den Weltmarktführer mag das eine Zeitenwende sein. Doch dieser Schritt ist schon lange überfällig.
E s mag zunächst nur nach technischen Details für Computerfreaks klingen, wenn Microsoft bekanntgibt, seine Software für die Programmierer der Welt transparent zu machen. Doch die Botschaft ist für Microsoft-Verhältnisse geradezu revolutionär. Sie steht für eine strategische Kehrtwende um 180 Grad. Sollte der weltgrößte Softwarekonzern nun die geheimen Schnittstellen seiner Windows-Betriebssysteme und Büro-Software offenlegen, darf man getrost von einer Zeitenwende sprechen.
Tarik Ahmia ist Redakteur im taz-Ressort Ökologie und Wirtschaft.
Jahrzehntelang basierte Microsofts Geschäftsmodell auf Geheimhaltung. Bis heute weiß nur der Konzern, wie seine Programme wirklich funktionieren. Mit diesem Herrschaftswissen konnte Microsoft Konkurrenten nach Gutdünken fernhalten und der PC-Industrie die Innovationszyklen diktieren. So wurde Bill Gates nicht nur zum reichsten Mann der Welt, sondern sein Unternehmen auch zum Innovations-Bremser und größten Monopolisten der Computerindustrie. Für diesen Machtmissbrauch haben die Wettbewerbshüter der EU den Softwarekonzern zu einer Rekordstrafe verurteilt und sind ihm weiter auf den Fersen.
Vor allem das Internet hat aus Microsoft aber einen Gejagten gemacht. Daran ändern auch die kläglichen Versuche von Microsoft nichts, sich durch den Kauf von Yahoo eine Internet-Strategie zuzulegen. Denn auch Yahoo hat seine besten Zeiten längst hinter sich und ist auf dem besten Weg, den Abstieg von AOL zu wiederholen.
Den Takt geben mittlerweile kleine innovative Rivalen vor. Ihnen gehört die Zukunft: Sie entstehen über Nacht, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt die richtige Idee haben. Die Vorteile, die Transparenz und Industriestandards für alle bringen, gehören in ihrer Welt längst zum Common Sense. Microsofts Glasnost könnte deshalb für den Konzern einfach zu spät kommen.
Genugtuung darf dessen ungeachtet vor allem die EU-Kommission empfinden, deren jahrelange Hartnäckigkeit gegen Microsofts Monopol nun Früchte getragen hat. Es sollte sie ermutigen, ihre für dieses Frühjahr angekündigte Offensive wahrzumachen und gegen die nächste entscheidende Bastion vorzugehen: die Energiekonzerne. Ihr Oligopol ist noch weit gefährlicher.
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