Kommentar Linke: Ende des Staubsaugerprinzips
Die beiden Austritte von Berliner Landespolitikern zeigen exemplarisch, wie fragil die Linkspartei ist.
Die Linkspartei hat auf ihrem Weg nach oben wie ein Staubsauger funktioniert. Unzufriedene verschiedener Couleur wurden angezogen, im Westen linke Splittergruppen integriert, frustrierte Exsozialdemokraten und Gewerkschafter rekrutiert. Erstaunlicher als ihre Wahlerfolge im Westen ist, dass der Partei dort der Aufbau gelingt.
Der Preis für diesen Erfolg ist hoch: eine merkwürdige Mischung aus programmatischer Vagheit und einem Unwillen, innerparteilichen Streit auszutragen. Die Flügel sind sich spinnefeind - und einig nur darin, darüber öffentlich nicht zu reden. Die Parteispitze ist ernsthaft entschlossen, das überfällige Parteiprogramm bis 2011 zu verschieben. Eine Selbstpositionierung soll vermieden werden, denn die kann durchaus schmerzlich werden. Die Spannungen in der Linkspartei sind enorm. Im Osten ist sie eine manchmal allzu brave Reformpartei, im Westen blinkt sie Richtung Fundamentalopposition.
Deshalb sind der Übertritt von Sylvia-Yvonne Kaufmann in die SPD und der Austritt des Berliner Finanzexperten Carl Wechselberg aus der Partei mehr als Einzelfälle. Persönliche Motive mögen eine Rolle spielen. Kaufmanns Parteiwechsel wäre vor ihrer Niederlage beim Europaparteitag in Essen um einiges glaubwürdiger gewesen. Doch politisch entscheidend ist etwas anderes. Die beiden Fälle zeigen exemplarisch, wie fragil die Linkspartei ist. Sie deuten an, dass Pragmatiker und strikt antikapitalistische Linke eine Zweckbündnis eingegangen sind. Ob das haltbar ist, wird sich zeigen, wenn die Linkspartei entschieden hat, was sie sein will: sozialpopulistische Protestpartei oder pragmatische Reformpartei. Dieser Tag wird kommen - auch wenn die Parteispitze ihn gern auf den Sankt Nimmerleinstag verschieben will.
Die SPD sollte sich allerdings nicht zu früh freuen. Dafür hat sie der PDS schon viel zu oft das Totenglöcklein geläutet. Und lag immer falsch.
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