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Kommentar LaufzeitverlängerungDer Beginn der Konterrevolution

Nick Reimer
Kommentar von Nick Reimer

Wer die Atomkraftwerke länger laufen lassen will, muss als nächstes den Ausbau der erneuerbaren Energien stoppen - beides zusammen geht nicht.

D as war die historische Leistung des rot-grünen Atomkonsenses mit der Energiewirtschaft: Ein Thema, das die Gesellschaft wie kein zweites spaltete, wurde Ende der 90er Jahre allseits befriedet. Das ist nun vorbei. Mit den gestern beschlossenen Atomgesetzen sind die Gräben nicht nur wieder aufgerissen worden, sie sind tiefer als je zuvor.

Dies liegt an der Systemfrage. Bereits heute laufen sieben Atomkraftwerke zu viel in Deutschland, weshalb im ersten Halbjahr 2010 rund 11 Milliarden Kilowattstunden ins Ausland exportiert werden mussten. Wer die Atomkraftwerke länger laufen lassen will, muss deshalb als Nächstes den Ausbau der erneuerbaren Energien stoppen - beides zusammen geht nicht. Und deshalb sind nicht nur die Interessen einer grünen Klientel betroffen, sondern auch die Interessen des bayrischen Bauern, der auf Solarstrom gesetzt hatte.

Wie tief der Graben ist, zeigt schon die aggressive Art, mit der die Regierung ihre neue Atomgesetze durchpeitschte. Schwarz und Gelb unternahmen nicht einmal den Versuch, die Stringenz ihrer Politik zu erläutern - geschweige denn den Versuch, im anderen Lager um Verständnis zu werben.

Immerhin hat die Union wieder Profil gewonnen: Die Verlängerung der AKW-Laufzeiten ist Konservatismus pur - dahinter steht eine Art von Verständnis, nach dem die Produktionsmittel in den Händen der herrschenden Energieversorger zu konzentrieren sind und eben nicht in die Hände des Volkes gehören. Dank des rot-grünen Erneuerbare-Energien-Gesetzes wurden die Produktionsmittel von oben nach unten umverteilt, die Energieversorgung demokratisiert.

Mit jeder neuen Solaranlage, jedem neuen Biomassekraftwerk wird die Marktmacht der vier großen Energiekonzerne untergraben und damit deren gesellschaftliche Deutungshoheit aufgeweicht. Nach dem Verlust von 16 Prozent Marktanteil für die traditionelle Energiebranche musste der Demokratisierung der Energiewirtschaft ein Riegel vorgeschoben werden. Also Solarstromvergütung runter, AKW-Laufzeiten rauf.

Die gestern verabschiedeten neuen Atomgesetze sind auch nur der Anfang einer umfangreichen Neujustierung in der extrem komplexen Energiepolitik. Angela Merkel feiert diese als Revolution. Und das zu Recht: Schließlich führt sie diese Konterrevolution an.

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Nick Reimer
Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.
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5 Kommentare

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  • J
    juergen

    Was hier als demokratische Energieversorgung beschrieben wird, bedeutet nur, daß jemand der es sich leisten kann eine Solaranlage mit staatlicher Subventionierung (Kfw) baut, Strom unabhängig vom Bedarf einspeisen darf, dieser Strom zu festgelegtem Preis abgenommen werden muss, keinerlei Beitrag zur Leistungsstabilisierung leisten muss, die Anschlusskosten der Allgemeinheit aufbürdet und zur Krönung bei Selbstverbrauch auch noch sämtliche Steuern und Umlagen erlassen bekommt. Für die Umweltschäden durch Photovoltaik (Endlagerung von Schwermetallen, Säuren...) muss die Branche nichts bezahlen, ebensowenig für das CO2, das z.B. bei der Reduktion von Quartz zu Silizium direkt erzeugt wird. Zu Zeiten des höchsten Verbrauchs (im Winter) leistet PV so gut wie nichts und es herrscht auch manchmal tagelang Flaute. Daher kann trotz der Erzeugung von 16% der Strommenge nicht ein einziges Kraftwerk vom Netz genommen werden. Das einfache Zusammenzählen der Strommengen übers Jahr ist technischer Unsinn, wird aber immer wieder gemacht. Daß dann diese unverschämten Lobbys (vor allem die der PV) mir erzählen wollen, der Ersatz eines Stromes, welcher an der Börse bedarfsgerecht zu ca. 4 Cent angeboten wird, durch einen planlos eingespeisten zum fast 10fachen Preis würde über einen Merit-Order-Effekt sogar zu sinkenden Preisen führen, die logischen Preiserhöhungen an Tagen ohne grosses EEG-Stromangebot genauso verschweigen wie die zusätzlichen Kosten durch Regelenergie, ist vorsichtig formuliert eine Frechheit und noch schlimmer wie die Gewinne der grossen Energieversorger. Wer technische Fragen nur nach politischen Ideologien zu lösen versucht, richtet so etwas wie das EEG an - unsinnig und kontraproduktiv.

  • V
    vic

    Ich wechsele inzwischen bereits von einem Ökostromversorger zum Anderen, da mein Neuer keine Zertifikate an der Strombörse handelt.

    Ich würde mich sehr freuen, wenn endlich mal ein paar Atom-und Kohlekraft Gegner mehr als bisher ihren Arsch hochkriegen und wechseln würden.

  • V
    vic

    Exakt.

    Was die Konzernknechte treiben ist, den Baum zu fällen damit er Früchte trägt.

    Diese Entscheidung basiert auf Vorteilsgewährung und Vorteilsnahme auf beiden Seiten.

    Das zu regierende Land, die Bevölkerung kommt in diesem Deal nicht vor.

  • TD
    Tyler Durden

    Das hat alles nicht das Geringste mit "Konterrevolution" nzu tun, welche eine alberne, kindische Phrase... das ist einfach nur "politics as usual" und sonst gar nichts.

    Es sind Medien wie die taz die leider mit ihrer Volksverdummung immer welche Illusionen wecken zu Themen, wie Demokratie und freier Meinungsäusserung oder politischem Engagement.

    Genau dasselbe können sie in den nächsten Wochen bei Stuttgart 21 erleben.

     

    ALLE diese Dinge kann man wissen, man muss sie nur wissen wollen. Aber welcher taz Leser will das schon, man gehört ja zu den "Guten", und das "Gute" wird am Ende immer siegen,uin dieser besten aller Welten, was soll mir da die Realität, gell?

  • C
    C.Pienitz

    Lobbyismus pur.

    Den Energieriesen geht die bessere Machtverteilung mächtig gegen den Strich; Und jetzt, wo sie das "Problem" heruntergekämpft haben, gewinnen sie sogar noch zusätzlich. Aber von den Lobbyisten ist keiner da, wenn im AKW etwas schiefläuft, und da kann ne Menge schieflaufen.