Kommentar Kosovo: Zwergstaat als Zwischenlösung
Jeden EU-Staat selbst über die Anerkennung des Kosovos entscheiden zu lassen, ist eine weise Entscheidung. Mit Hilfe der EU könnten Grenzen am Balkan vielleicht bald wieder verschwinden.
S erbien zieht aus allen Staaten, die das Kosovo anerkennen, seine Botschafter ab. Am Mittwoch waren Deutschland und Österreich an der Reihe, nachdem auch sie den abtrünnigen Zwergstaat anerkannt haben. Gleichzeitig reiste Serbiens Außenminister Vuc Jeremic nach Straßburg, um zu erklären, dass Serbien zwar einzelnen Mitgliedstaaten den Stuhl vor die Tür stelle, mit der EU insgesamt aber im Gespräch bleiben wolle. Paradox?
Nein. Die Tatsache, dass sich 6 der 27 EU-Mitglieder dem neuen Zwergstaat Kosovo die Anerkennung verweigern, wird zwar von manchen als neuerliches Zeichen außenpolitischer Schwäche gedeutet. Doch indem die Union zugleich einstimmig die Entsendung einer Rechtsstaatsmission beschloss, zeigt sie, dass sich alle ihre Mitglieder gemeinsam für den Frieden auf dem Balkan verantwortlich fühlen. Ob ein unabhängiges Kosovo diesen Frieden eher befördert oder vielmehr gefährdet, kann heute niemand mit Sicherheit sagen. Die Außenpolitiker der EU waren deshalb weise, die Entscheidung über die Anerkennung des Kosovo jedem Mitgliedsland allein zu überlassen.
Als Deutschland 1991 vorpreschte und Kroatien und Slowenien anerkannte, waren viele europäische Nachbarn sauer. Niemand hätte gedacht, dass gerade mal 16 Jahre später das kleine Slowenien den Vorsitz im Europäischen Rat führt und mit viel Fingerspitzengefühl hilft, eine Krise der EU wegen des Kosovo zu vermeiden. Auch Kroatien soll bald EU-Mitglied werden, und kein europäisches Land findet mehr etwas dabei.
Auch im Baltikum, wo nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion drei winzige Staaten entstanden, sind die Schlagbäume inzwischen wieder verschwunden. Der Umweg, über den eigenen Zwergstaat am Ende im grenzfreien Schengenraum der Europäischen Union zu landen, scheint also zu funktionieren. Alle EU-Länder sind sich einig, dass dieser Weg auch Serbien und dem Kosovo offensteht - ganz unabhängig davon, ob sie die Abspaltung des Kosovo nun unterstützen oder nicht.
Auf dem Balkan werden jetzt tagsüber neue Grenzhäuschen aufgestellt und nachts in die Luft gesprengt. Vielleicht werden sie schon in wenigen Jahren friedlich abgeräumt.
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