Kommentar Koalitionsbeschluss: Merkels FDP
Die FDP bindet sich als Mehrheitsbeschafferin an eine CDU, die von ihren Inhalten nichts umsetzen will. FDP-Chef Westerwelle ist auf Kanzlerin Merkel angewiesen, sie nicht auf ihn.
So sehr hat sich in der Geschichte der Bundesrepublik selten eine Partei selbst entwürdigt wie an diesem Wochenende die Freien Demokraten. Erst am Freitag konnten sie aus dem Mund der Bundeskanzlerin vernehmen, welche FDP-spezifischen Programmpunkte sie bei möglichen Koalitionsverhandlungen wenigstens zu erwägen gedenkt: Keinen einzigen, versprach Angela Merkel ihrer skeptischen Rentner- und Arbeitnehmerklientel. Und wie reagierte die FDP? Sie band sich zwei Tage später mit einer Koalitionssaussage als Mehrheitsbeschafferin an eine Partei, die von ihren Inhalten nichts umsetzen will.
Eine wirkliche Alternative hatte der so kraftstrotzend auftretende FDP-Chef Guido Westerwelle zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Den plötzlichen Aufschwung, den die Partei seit Beginn der Wirtschaftskrise nahm, verdankt sie ausschließlich den Leihstimmen vom CDU-Wirtschaftsflügel. Dieses Wählerpotenzial in ein Bündnis mit der SPD zu entführen, wäre für Westerwelle auch ohne eine klare Koalitionsaussage politischer Selbstmord gewesen. Von daher nimmt sich die Partei mit ihrem Potsdamer Beschluss nur eine Handlungsfreiheit, die sie sowieso nicht mehr hatte. Wichtig war nur, dass verunsicherte FDP-Wähler das auch verstehen.
Ralph Bollmann ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.
Seine eingeschränkte Bewegungsfreiheit hat sich Westerwelle allerdings selbst zuzuschreiben. Mit einer einseitig wirtschaftsliberalen Ausrichtung führte er die Partei, wirtschafts- und sozialpolitisch betrachtet, an den rechten Rand des politischen Spektrums. Dort ist sie heute das spiegelbildliche Pendant zur Linkspartei. Auf dem alten Platz in der Mitte haben sich längt die Grünen breit gemacht. Paradoxerweise hat dieser Rollenwechsel eine Durchsetzung originärer FDP-Programmatik nicht erleichtert, sondern erschwert. Ein Druckmittel gegen die Union hat Westerwelle jedenfalls nicht mehr in der Hand. Er ist auf Merkel angewiesen, sie nicht auf ihn.
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