Kommentar Iran: Ahmadinedschad verliert an Rückhalt
Die Allianz von Revolutionsführer Ali Chamenei und Staatspräsident Ahmadinedschad bröckelt. Es scheint, dass hinter den Kulissen neue Bündnisse geschmiedet werden.
Es wird immer schwieriger, bei dem im Iran herrschenden Chaos den Überblick zu behalten. Noch bis vor zehn Tagen waren Revolutionsführer Ali Chamenei und Staatspräsident Ahmadinedschad ein Herz und eine Seele, und das Lager der Radikalislamisten stand geschlossen hinter ihnen. Nun ist auch diese Front auseinandergebrochen.
Chamenei erteilte dem Präsidenten den Befehl, seinen frisch ernannten ersten Vizepräsidenten abzusetzen. Ahmadinedschad zögerte eine Woche lang, widerrief zwar die Ernennung, machte den Abgesetzten jedoch zu seinem ersten Berater und Bürochef. Dann hagelte es von allen Seiten Kritik. Zwei Drittel der Parlamentarier rügten Ahmadinedschad, andere warfen ihm vor, am Revolutionsführer und der Geistlichkeit vorbei Irrwege beschreiten zu wollen.
Verwirrung stiftete auch der ehemalige Staatspräsident Haschemi Rafsandschani, der als zweitmächtigster Politiker im Land angesehen wird. Er hatte bei seiner aufsehenerregenden Freitagspredigt am 19. Juli die gesamte Staatsführung mitsamt dem Revolutionsführer an den Pranger und sich eindeutig auf die Seite der Protestbewegung gestellt. Doch vor wenigen Tagen erklärte er seine uneingeschränkte Loyalität zu dem "weisen Führer", mit dem er seit 50 Jahren befreundet sei.
Wenige Tage danach ordnete Chamenei die Schließung eines Gefängnisses an, weil es dem "internationalen Standard" nicht entspräche. Ahmadinedschad ging einen wesentlichen Schritt weiter und erteilte dem Justizchef die Order, wie von seinem Erzfeind Rafsandschani gefordert sämtliche inhaftierten Demonstranten innerhalb von zehn Tagen freizulassen. Auch das Parlament setzte eine Kommission ein, um den Vorwürfen, es gebe Folter und Mord in den Kerkern, nachzugehen.
Es scheint, dass hinter den Kulissen neue Bündnisse geschmiedet werden. Soll Ahmadinedschad demontiert werden? Er ist geschwächt, und es ist fraglich, wie er trotz der Front, die das Parlament gegen ihn gebildet hat, sein neues Kabinett durchzusetzen vermag. Nicht weniger Kopfschmerzen bereitet ihm sicherlich der Druck aus dem Ausland. Wie soll sich eine Regierung, die von der Mehrheit des Volkes abgelehnt wird und auch innerhalb der Staatselite isoliert ist, im Ausland durchsetzen? Diese Fragen werden auch hinter den Kulissen gestellt. Sind die Tage des Präsidenten gezählt?
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