piwik no script img

Kommentar IrakkriegBrowns falsches Kalkül

Ralf Sotscheck
Kommentar von Ralf Sotscheck

Brown lag mit seiner Berechnung, dass vor allem Blair Schaden durch den Untersuchungsausschuss zum Entscheidungsprozess des Irakkriegs erleiden würde, gründlich schief.

Als Gordon Brown vor zweieinhalb Jahren das Amt des britischen Premierministers von Tony Blair übernahm, war er bemüht, sich so weit wie möglich von seinem Vorgänger abzusetzen. So versprach er einen Untersuchungsausschuss, in dem der Entscheidungsprozess beleuchtet werden sollte, der zur britischen Beteiligung am Irakkrieg führte. Dieser Krieg war schließlich Blairs Geschichte, nicht die der jetzigen Regierung, kalkulierte Brown.

Welch Irrtum. Die von John Chilcot geleitete Untersuchung wächst sich zu einer neuerlichen Katastrophe für Labour aus. Dabei hatte niemand diese Untersuchung ernsthaft verlangt. Die meisten Fakten waren ohnehin längst bekannt, zum Beispiel das unsägliche, manipulierte Irak-Dossier, das die Begründung für die Invasion lieferte. Nun werden alle wieder daran erinnert, wie die Regierung damals das Parlament und die Bevölkerung hinters Licht geführt hat.

Brown lag mit seiner Berechnung, dass vor allem Blair Schaden erleiden würde, gründlich schief. Dem Expremier konnte es auch egal sein: sein Ruf ist ohnehin ruiniert, was seinen Einnahmen auf dem lukrativen Vortragsparcours keineswegs abträglich ist. Zudem waren Brown und eine Reihe seiner Minister an allen Entscheidungen eng beteiligt. Sie kann man dafür bestrafen, und zwar schon bald. Browns Bereitwilligkeit, vor dem Untersuchungsausschuss noch vor den Parlamentswahlen, die bis 3. Juni stattfinden müssen, auszusagen, ist leichtfertig. Der Irakkrieg ist wieder Wahlkampfthema.

Das kann nur den Tories nützen. Sicher, auch sie wären in den Krieg gezogen, wenn sie an der Macht gewesen wären. Schließlich waren mehr Labour-Abgeordnete als Tories gegen den Krieg, und Tory-Chef David Cameron hat dafür gestimmt. Aber es war eben nicht sein Krieg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!