Kommentar Integration: Der zu heiße Stuhl
Ein Minister, der für die Integration verantwortlich ist, müsste dafür in Zukunft den eigenen Kopf hinhalten - und würde an seinen Erfolgen auf diesem Felde gemessen.
E s gibt vieles, was für ein Integrationsministerium spricht. Ein solches Amt könnte konkrete Ziele formulieren, sie mit entsprechenden Maßnahmen angehen und mit nachprüfbaren Zahlen evaluieren. Es könnte Aufgaben in der Zuwanderungs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik bündeln und strategisch planen. Der Minister oder die Ministerin, mit eigenem Geld und eigenen Zuständigkeiten, würde ernster genommen als eine Staatssekretärin oder ein "Beauftragter", die lediglich als Diener ihrer jeweiligen Chefs fungieren. Nicht zuletzt würde man damit symbolisch anerkennen, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland geworden ist - eine Einsicht, gegen die sich gerade die Union jahrzehntelang gesperrt hat.
Doch dazu wird es nicht kommen. Stattdessen sollen die Zuständigkeiten für das Thema stärker gebündelt werden, heißt es aus den Koalitionsverhandlungen. Aber wo? Bislang war die Integration bei Wolfgang Schäuble angesiedelt. Der berief in seiner vergangenen Amtszeit zwar einen löblichen, wenn auch ergebnislosen "Islam-Gipfel" ein, richtete sein Augenmerk ansonsten aber vor allem auf Fragen der inneren Sicherheit und der europäischen Abschottung. Integration aber ist etwas anderes. Das Bildungsministerium wäre besser geeignet, Integration als Aufgabe der Schulen, Kitas und Universitäten zu gestalten, hat aber kaum Einfluss auf die Länder. Bleiben noch das Arbeits-, das Familien- oder gar das Justizministerium als mögliche Kandidaten.
Fragt sich nur, wer das heiße Eisen überhaupt anfassen möchte. Bislang war es ja leicht, über Versäumnisse bei der Integration zu schimpfen und dafür wahlweise "die Türken", "die Kopftuchmädchen" oder gar die Gemüsehändler verantwortlich zu machen. Ein Minister, der für die Integration verantwortlich ist, müsste dafür in Zukunft den eigenen Kopf hinhalten - und würde an seinen Erfolgen auf diesem Felde gemessen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland