Kommentar Hybrid-Gerste-Probleme: Ein Weltkonzern mit Hang zur Panne
Die Syngenta AG pflegt kommunikative Intransparenz angesichts ihrer neuesten Hybridgerste-Probleme. Das Vertrauen der Landwirte wird sie so nicht ernten - zum Glück!
A ls Black Box präsentiert sich erneut die Syngenta AG, wenn’s um Unregelmäßigkeiten bei ihrer Saatgut-Produktion geht: Es bestehe kein Grund zur Besorgnis, erfährt man. Die Probleme kämen „in der Praxis gar nicht an“, wird erläutert. Und um den Marktanteil der Aktiengesellschaft mit Sitz in Basel soll sich der Journalist bitteschön schon mal gar nicht den Kopf zerbrechen. Der sei nicht relevant, also der Anteil.
So weit, so wenig vertrauenerweckend. Und man kann sagen: Zum Glück, denn: Solange die Landwirte kein übergroßes Vertrauen in Syngenta haben, werden sie länger zögern, sich von dem Hybrid-Gerste-Monopolisten abhängig zu machen. Tatsächlich ist der erwartete – und angekündigte – Run auf das mit viel Brimborium und großen Ertragglücksversprechen beworbene Wunderwintergetreide ausgeblieben.
Und die unerklärten, wenn auch sicher nicht unerklärlichen Schwierigkeiten, die der Agro-Gigant bei der passgenauen Nachzucht seiner Hobbit-Körner hat, werden deren Siegeszug auch nicht beschleunigen: Wer könnte aus dem Hinterkopf verdrängen, dass dieser derzeit wohl wichtigste Konkurrent von Monsanto auf derselben Laufbahn und in dieselbe Richtung unterwegs ist? Und wer aus der Branche sollte vergessen, dass es der Schweizer Weltkonzern war, dem das wohl größte Missgeschick der neueren Pflanzenzuchtgeschichte unterlaufen ist?
Denn die Syngenta AG war es ja, die, von 2001 bis 2004, über den Umweg USA den EU-Bauern gentechnisch veränderten Mais ohne jede Zulassung untergejubelt hat – angeblich ganz aus Versehen.
Ja, natürlich, Pannen gibt es überall – und große Konzerne begehen große Fehler. Aussagekräftig sind indes ihre Folgen fürs System. So hat sich im Kommunikationsverhalten bei der Syngenta AG zum besseren jedenfalls nichts geändert. Fast noch interessanter sind indes die Auswirkungen auf der Gesellschafterseite. Von den wichtigen Geldgebern – neben der Janus Capital Group engagieren sich auch die Bank of New York Mellon Corporation und die Vanguard-Investment-Fonds sowohl bei Monsanto als auch bei den Baslern – war seinerzeit offenkundig niemand entsetzt über das vier Jahre lang praktizierte Missgeschick: Sie sind alle dabei geblieben, haben sogar zugekauft.
Auch der Kurs der Aktie zeigt ungebrochen nach oben: Auf lange Sicht können sich solche Pannen als strategisch nützlich erweisen, um die Debatte über gentechnisch veränderte Organismen in der EU zu beenden. Nicht argumentativ – sondern durch die Macht des Faktischen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner