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Kommentar Grüne und AtomausstiegVerweigerung bringt nichts

Ulrich Schulte
Kommentar von Ulrich Schulte

Die Grünen können mit ihrer Zustimmung zur stufenweisen Abschaltung der AKWs kaum etwas verlieren. Aber sie können einiges gewinnen.

F ür Sprecher der Anti-Atom-Bewegung ist die Sache klar: Mit ihrem "Ja" zum Atomausstieg der Koalition verrät die Grünen-Spitze endgültig alle Ideale der Partei, sie macht die Grünen unglaubwürdig und zum Büttel eines schwarz-gelben Möchtegern-Ausstiegs.

Eine solche Sicht ist verständlich für Menschen, die teilweise seit Jahrzehnten auf der Straße gegen diese hochgefährliche Energie kämpfen. Doch der Leitantrag des Parteivorstands ist eben keine schlichte Bestätigung der hastig zusammengezimmerten, schwarz-gelben Energiewende, die Parteispitze hat ein differenziertes "Ja, aber" abgeliefert.

Es ist eine nüchterne und kühle Betrachtung dieses für die Grünen hochemotionalen Themas. Und aus jeder Zeile scheint das Bemühen durch, Schwarz-Gelb kein Gütesiegel zu verpassen, sondern Schwächen herauszuarbeiten. Diese Haltung ist konsequent. Denn weder taktisch noch inhaltlich könnten die Grünen mit einer Verweigerung gewinnen.

Bild: anja weber

ULRICH SCHULTE ist Leiter des Parlamentsbüros der taz.

Die stufenweise Abschaltung der AKW kopiert 1:1 den Ausstieg von Rot-Grün, die Grünen würden gegen ihre eigene Idee votieren. Ein Schnellausstieg bis 2017 mag sinnvoll und technisch machbar sein - ist aber nicht durchsetzbar. Selbst wenn es 2013 für Rot-Grün reicht, würde die SPD die jetzt ausstehende Einigung nie revidieren.

Die Grünen können also mit ihrer Zustimmung zu diesem Teil des Gesetzespakets kaum etwas verlieren. Aber sie können einiges gewinnen. Folgt die Basis der Parteispitze, zementieren die Grünen eine weltweit einzigartige Entscheidung, sie stärken deren Unumkehrbarkeit, sie nehmen Kanzlerin Merkel in Haftung.

Gleichzeitig markierten sie Positionen auf Feldern, auf denen in Zukunft die Musik spielt: beim Ausbau neuer Energien und bei der Öffnung der Endlagerfrage. So schmerzhaft der Kompromiss wäre - er würde sich lohnen.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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12 Kommentare

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  • DS
    Der Sizilianer

    Kleine Korrektur zu meinem Statement (und soviel zum Thema Verdrängung) -

     

    Es muss natürlich richtigerweise heißen: "(...) knapp 3 Monate NACH BEGINN des wohl bislang schwersten atomaren Unfalls auf diesem Planeten (...)"

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Endlich! Deutschland steigt aus der Kernenergie aus. Auch wenn der schwarz-gelbe Plan seine Schwächen hat, sollten die Grünen ihn ohne Zögern unterstützen – und weiterhin die Energiewende forcieren. Bis 2022 bleibt viel zu tun und genung Zeit für die Grünen zu zeigen, dass sie ihre Ideale mit einer Zustimmung zum schwarz-gelben Ausstieg eben gerade nicht verraten:

    http://bit.ly/jFwAG6

  • F
    Florian

    Die Grünen lassen sich seit Jahren von der Anti-Atom-Bewegung von Wahlsieg zu Wahlsieg chauffieren und meint jetzt, dass sie die letzten 11 Jahre (!) in der Luxuslimousine der CDU mitfahren kann. Nein Dank!

  • G
    Grauwert

    Die vielzitierte Behauptung von Frau Roth, der merkel'sche Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg sei besser als der Rot-Grüne Atomkonsens, ist in einem Punkt absolut zutreffend:

     

    Damals hat man sich lediglich auf das Konzept der Reststrommengen einigen können, und dieses sogar noch mit einer Reduktion der Sicherheitsstandards teuer erkauft. Begründung: wenn die Kraftwerke ohnehin bald abgeschaltet würden, könne man sich teure, andernfalls fällige Nachrüstungen (Stichwort "Stand der Technik") auch sparen.

     

    Die Reststrommengen und die erlaubte Übetragung zwischen den Kraftwerken haben die Atomkonzerne - Betriebswirtschaftlich klug - ausgenutzt, um Abschaltungen bis zur Schwarz-Gelben Machtübernahme hinauszuzögern.

     

    Mit dem Wiederausstieg werden erstmals verbindliche - Stromnetzplanerisch stressarme, weil schrittweise - Abschalttermine genannt. Bleibt zu hoffen, dass diese Vorgehensweise auch verfassungsrechtlich haltbar bleibt. (Entsprechende Bedenken haben damals mit zum Entscheid FÜR die Reststrommengenregelung geführt).

     

    Was bleibt sind die defacto reduzierten Sicherheitsanforderungen an die Atomanlagen.

     

    Als gründer Abgeordneter würde ich dem Gesamtpaket in keinem Fall zustimmen. Mein Vorschlag:

     

    # Auf Aufteilung des Paketes in kleinere Päckchen drängen.

    # Zustimmung nur zum zeitlich festgelegen Ausstieg.

    # Sicherheitstechnische Ausrüstung aller Kraftwerke udn Atomanlagen nach dem Stand der Technik fordern. Wichtig hierbei ist die Forderung nach sofortiger Umsetzung. Guter Wille bzw. das aufstellen eines Bauzaunes (wie seit Herbst 2010 möglich) darf nicht als ausreichende Maßnahme gewertet werden.

     

    Letztere Forderung sollte dann auch im Wahlprogramm für 2013 stehen. Der regenerative Ausbau ist dann die nächste Großbauselle.

  • F
    frei

    K e i n einziger vorteil! Die Grünen verlieren jede Glaubwürdigkeit. Die Regierung will den Beschluss natürlich nach der nächsten Wahl kippen.

    von welcher Haftung spricht der Autor? Weiss er vermutlich selber nicht.

    Die Grünen, die sonst nur noch die Umverteilung nach oben im Programm haben, braucht kein Mensch mehr.

  • DS
    Der Sizilianer

    Bei "nüchterner und kühler Betrachtung" komme ich zu dem Schluss, dass die Grünen durchaus was zu verlieren haben, wenn sie einem Gesetz zustimmen, dass den Atomausstieg erst für 2021/2022 festschreibt.

     

    Bei aller analytischen Klugheit, mit der der Autor die Zwickmühlen parlamentarischer Demokratie in seinem Artikel beschreibt - es geht hier eben nicht mal locker-flockig um grüne "Ideale", um ein "hochemotionales Thema", also um Gefahren für die grüne Seele - es geht hier vor allem um das verdammte Risiko, den eigenen Arsch atomar gegrillt zu bekommen. Und dieses Risiko trifft auch Grüne. Und auch den Autor des Artikels.

     

    Noch mal: Wer sich die Risken der Atomkraft sowie die nicht nur ungelöste, sondern eigentlich nicht zu lösende Endlagerfrage anschaut, der kann meines Erachtens nur zu dem einen Schlu0 kommen - raus aus der Atomkraft - so schnell wie irgend möglich. Ohne Kompromiss.

     

    Das man in der Presse knapp 3 Monate nach dem wohl bislang schwersten atomaren Unfall auf diesem Planeten schon wieder dem "kühlen" Pragmatismus der "schmerzhaften Kompromisse" das Wort redet, als handele es sich nicht um eine sehr reale Gefährdung von Millionen Menschen, sondern vor allem um ein Problem von geliebten Überzeugungen, an die man sich klammere - das zeigt meines Erachtens vor allem, wie schnell auch kluge Menschen bereit sind, die Gefahren der Atomkraft zu verdrängen.

  • SR
    sehr richtig ...

    und die leute die hier bei den grünen entscheiden, haben auch 20 jahre auf der straße gekämpft (zugegeben mit einer kleinen pause). man kann die sache inhaltlich anderes bewerten, aber der selbstherrliche alleinvertretungsanspruch ist absolut unangemessen.

  • V
    vic

    Aber muss man gleich derart übertreiben wie Claudia Roth, der schwarz-gelbe Atomaussieg wäre Besser als der Rot-Grüne?

    Vor zehn Jahren war nichts anderes möglich, und die Kehrtwende der Regierung verdanken wir einer machtpolitischen Schockreaktion der Großen Vorsitzenden.

    Daran ist nichts besser, nur verlogener und noch lange nicht vollzogen.

  • P
    Pascal

    Und wer bitte würde einen Atomkonsens revidieren mit dem Argument, die Grünen hätten ja dagegen gestimmt? Das wäre doch absurd.

     

    Fakt ist: Es kommt auf die grünen Stimmen nicht im geringswten an. Man muss wohl abwägen, ob man auf einen dauerhaften Stimmengewinn in der Mitte hoffen kann, der den Verlust an Kernklientel überwiegt.

  • T
    T.V.

    ..und der Autor bestätigt ein weiteres Mal den argen Drang des Deutschen zum Konsens. Fragt sich nur, wie lange sich Natur, Wirtschaft, Unterschicht, Minderheiten etc. das noch gefallen lassen.

  • D
    dirk

    Aber die Grünen kriegen doch gar nix dafür, dass sie zustimmen. Das ist ein Geschenk für Merkel und sonst nix.

    Außerdem kann man den Parteitagsbeschlüssen der Grünen noch trauen? Oft beschließt die Partei basisdemokratisch etwas und dann wird es von der Bundestagsfraktion bis zur Unkenntlichkeit verwässert.

  • N
    NEIN

    Falsch:

    Mit einer Zustimmung können die Grünen nur verlieren!

     

    Man muß ja nicht gleich eine Totelverweigerung fahren, aber eine ENTHALTUNG wäre die sinnvollste und intelligenteste Verfahrensweise.

     

     

    Übrigens:

    Die Zustimmung kommt auch ohne ein Ja der Grünen sicher zustande. Selbst bei einem Nein der Grünen würde es durchkommen, also wo soll bitte der Sinn und der Vorteil sein diesem windigen Kompromiss zuzustimmen, sich zu unterwerfen und Frau Merkel als Heldin dastehen zu lassen und ihr Wahlkampfhilfe zu leisten? Sie ist ja bis heute so frech und verkauft es als ihre Idee und ihre Leistung und hat ihre bisherigen Fehler eingestanden - wer sich da mit ins Boot setzt, muß schon sehr dumm sein.