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Kommentar Frankreichs StromversorgungAtomare Flucht nach vorn

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Der Plan, die Pannenreaktoren durch EPR zu ersetzen, erinnert an den Pyramidenbetrüger Madoff.

E ine Reihe von Pannen in Reaktoren haben genügt, um den Mythos nuklearer Selbstversorgung Frankreichs mit angeblich billiger, sauberer und schier unerschöpflicher Elektrizität zu erschüttern. Parteien, Gewerkschaften und Wirtschaft teilten bisher in Frankreich diesen unbeirrbaren Glauben an die Atomkraft, die fast 80 Prozent der Elektrizität liefert. Noch heute wird ein Drittel der Haushalte elektrisch geheizt. Und gerade das erweist sich nun als Achillesferse dieser sonst so selbstsicher auftretenden Industrie. Sie muss zugeben, dass Frankreich in diesem Winter nicht genügend Strom produzieren wird und auf teure Importe aus deutschen Kohlekraftwerken angewiesen ist.

Statt den Energieverbrauch zu reduzieren und die Versorgung zu diversifizieren, hat Frankreich ganz auf die Kernenergie gesetzt. Und da die Altersgebrechen der existierenden 58 Reaktoren nicht mehr zu verheimlichen sind, verlegt sich die Atomindustrie nun auf die Taktik der Flucht nach vorn. Mit Unterstützung der Staatsführung präsentiert sie als einzige Lösung der Versorgung mit Elektrizität die "neue Generation" des Druckwasserreaktors (EPR). Der Energiekonzern EDF ist zynisch genug, um die derzeitigen Produktionsengpässe sogar als Argument für einen beschleunigten Ersatz der alten AKW durch EPR zu verkaufen. Nicht zuletzt geht es Frankreich auch darum, seine weltweit führende Stellung in der "zivilen" Kerntechnologie zu verteidigen.

Wohin solche technologischen Überholmanöver einer für Warnsignale blinden Lobby führen, hat man in Frankreich bereits mit dem schnellen Brüter von Creys-Malville erlebt. Noch heute bezahlen die Franzosen für diesen Mythos des sich quasi regenerierenden Plutonium-Reaktors. Der Plan, die Pannenreaktoren durch EPR zu ersetzen, erinnert ein wenig an den Pyramidenbetrüger Madoff: Statt auftauchende Probleme zu lösen, werden sie durch neu geschaffene vertuscht.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

3 Kommentare

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  • JL
    Jan-Christian Lewitz

    Die Kosten sollten doch nicht das grundlegende Thema sein, sonst hätten wir auch keine Investitionen in Wind und Sonne.

    Die Frage der Sicherheit ist die grundlegende Frage an der bestehende und neue KKW gemessen werden sollten. Eine seriöse Politik wird die Risiken des Einsatzes von KKW mit den Risiken anderer Arten der Strom- und Wärmeversorgung vergleichen und daraus Handlungen ableiten.

    Die Kosten spielen nur dann politisch eine Rolle, wenn sie nicht marktfähig sind und wie bei Wind und Sonne durch Umlagen, Abgaben oder Steuern durch den Bürger subventioniert werden müssen.

  • G
    groooveman

    Naja wenn man sich das Ding was Vattenfall in Finnland gerade baut anguckt können die Franzosen ja schonmal anfangen paar hundert Milliarden € Rücklagen zu bilden, der EPR ist nämlich ganz schön teuer :)

  • N
    nemo

    Hoppla, dann ist es kein Wunder, dass EDF derzeit gerade hyperaktiv auf der ganzen Welt wirbt um neue Reaktorprojekte an Land zu ziehen. Schließlich müssen die Verträge noch vor dem Winter unter Dach & Fach sein, bevor der ganze Schwindel auffliegt.

    Gerade heute hat wieder einer Angebissen: In Polen sollen die Franzosen mit einer Studie die Machbarkeit von mindestens einem AKW bis 2020 untersuchen.