Kommentar Flugroutenkampf in Berlin: Protest ist nicht gleich Protest
Der Berliner Großflughafen ist fast fertig. Doch die BürgerInnen haben gesehen, was möglich zu sein scheint in Stuttgart. Dabei protestieren sie ohne Argumente.
I m Süden Berlins haben sie nicht lange gefackelt: Als im September bekannt wurde, dass die Flugzeuge ab dem geplanten Hauptstadtflughafen BBI auch über ihre Häuser und Villen fliegen sollen, sprossen die Bürgerinitiativen nur so aus dem Boden. Mehr als 30 Gruppen üben sich inzwischen im Demonstrieren und Flugblattverschicken, die Forderungen reichen von einer Änderung der Routen und einem neuen Planungs-Zeitrahmen bis hin zu einem Baustopp für den Flughafen, der im Sommer 2012 in Betrieb gehen soll.
Gerade letzterer Maximalanspruch mag und darf abstrus erscheinen, ist der Flughafen doch schon fast fertig; Anbindungsstraßen sind gebaut, Dörfer umgesiedelt. Doch die BürgerInnen haben gesehen, was möglich zu sein scheint in Stuttgart. Sie lassen sich zum Höhenflug verleiten und übersehen: Protest ist nicht gleich Protest.
Anders als in Stuttgart ist der Flugrouten-Kampf in Berlin lokal begrenzt. Mehr noch, er ist in der Stadt umstritten. Mancher neidet dem Südwesten, in dem die Wohlhabenden aus Politik, Wirtschaft und Film leben, seine privilegierte Wohnlage. Ein bisschen Lärm könne nicht schaden, heißt es, schließlich habe der Rest der Stadt jahrzehntelang unter den Flughäfen in Tegel (Norden) und Tempelhof (Mitte, Ost und West) gelitten. Die Flugrouten-Gegner selbst sprechen nicht einmal mit einer Stimme. Seit dem Baustopp-Aufruf einer Gruppe sind die Initiativen gespalten - die Mehrheit findet die Forderung unrealistisch.
Vor allem aber fehlen den Berliner BürgerInnen die Argumente. Ihr Zorn ist nachvollziehbar, denn sie fühlen sich von der Politik verschaukelt. Fakt bleibt aber, dass es in Brandenburg Gemeinden gibt, über die Flugzeuge um ein Vielfaches lauter donnern werden als über die Berliner Nobelviertel - egal wie die Routen laufen. Und dass es über der Stadt insgesamt ruhiger werden wird. Der Protest mag im Moment laut sein - Durchschlagskraft wird er nicht entfalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn