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Kommentar Flugroutenkampf in BerlinProtest ist nicht gleich Protest

Kommentar von Kristina Pezzei

Der Berliner Großflughafen ist fast fertig. Doch die BürgerInnen haben gesehen, was möglich zu sein scheint in Stuttgart. Dabei protestieren sie ohne Argumente.

I m Süden Berlins haben sie nicht lange gefackelt: Als im September bekannt wurde, dass die Flugzeuge ab dem geplanten Hauptstadtflughafen BBI auch über ihre Häuser und Villen fliegen sollen, sprossen die Bürgerinitiativen nur so aus dem Boden. Mehr als 30 Gruppen üben sich inzwischen im Demonstrieren und Flugblattverschicken, die Forderungen reichen von einer Änderung der Routen und einem neuen Planungs-Zeitrahmen bis hin zu einem Baustopp für den Flughafen, der im Sommer 2012 in Betrieb gehen soll.

Gerade letzterer Maximalanspruch mag und darf abstrus erscheinen, ist der Flughafen doch schon fast fertig; Anbindungsstraßen sind gebaut, Dörfer umgesiedelt. Doch die BürgerInnen haben gesehen, was möglich zu sein scheint in Stuttgart. Sie lassen sich zum Höhenflug verleiten und übersehen: Protest ist nicht gleich Protest.

Anders als in Stuttgart ist der Flugrouten-Kampf in Berlin lokal begrenzt. Mehr noch, er ist in der Stadt umstritten. Mancher neidet dem Südwesten, in dem die Wohlhabenden aus Politik, Wirtschaft und Film leben, seine privilegierte Wohnlage. Ein bisschen Lärm könne nicht schaden, heißt es, schließlich habe der Rest der Stadt jahrzehntelang unter den Flughäfen in Tegel (Norden) und Tempelhof (Mitte, Ost und West) gelitten. Die Flugrouten-Gegner selbst sprechen nicht einmal mit einer Stimme. Seit dem Baustopp-Aufruf einer Gruppe sind die Initiativen gespalten - die Mehrheit findet die Forderung unrealistisch.

Vor allem aber fehlen den Berliner BürgerInnen die Argumente. Ihr Zorn ist nachvollziehbar, denn sie fühlen sich von der Politik verschaukelt. Fakt bleibt aber, dass es in Brandenburg Gemeinden gibt, über die Flugzeuge um ein Vielfaches lauter donnern werden als über die Berliner Nobelviertel - egal wie die Routen laufen. Und dass es über der Stadt insgesamt ruhiger werden wird. Der Protest mag im Moment laut sein - Durchschlagskraft wird er nicht entfalten.

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6 Kommentare

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  • O
    onkidonki

    Diese Neiddiskussion ist lächerlich! Wenn BBI nicht so zum tragen kommt wie geplant, Tegel weiterbetrieben wird, bleibt Neidern das Lachen noch im Halse stecken.

  • HA
    Hannes aus Tempelhof

    Selbstverständlich gilt es für die meisten Menschen auch dieser Stadt zuerst, die eigenen Pfründe zu sichern. Insofern ist es verständlich, dass die Bewohner bisher vom Fluglärm nicht betroffener Gebiete auch erst jetzt aufstehen und sich wehren.

     

    Dennoch ist es höchst zweifelhaft, hier eine Sozialneidkampagne auszurufen, die sich dann letztendlich wieder gegen die Schutzlosen und Schwächeren auswirkt. Häme ist in dieser Situation nicht angebracht.

     

    Fakt ist doch, dass schon vor der Schließung von Tempelhof, mit der Schließung von Tegel und durch die, den politisch Verantwortlichen durchaus länger bekannten(immerhin ist unser Regierender Bürgermeister gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft!), Flugrouten für BBI, z.B. die Karten für die Grundstückspreise und Wohnmieten wissentlich neu gemischt wurden, ohne dass der betroffene Bürger rechtzeitig reagieren konnte, und so vielfach existentielle Lebensentscheidungen getroffen wurden, die sich nun nur noch schwer zum positiven ändern lassen.

     

    Die Gentrifizierung betrifft eben nicht nur einzelne Kieze, sondern mittlerweile fast die ganze Stadt.

     

    Profitieren wird davon, wer die Informationen und finanziellen Mittel als erstes hatte. Und das ist sicher nicht der einfache Bürger, denn der zahlt am Ende wieder einmal drauf.

  • K
    Klaus

    Sehr guter Beitrag,die wohlhabenden Berliner sind keine

    besseren Menschen, auch sie sollen den Fluglärm ertragen können. Genauso wie wir 40 Jahre um Tegel herum!

    Es würde mich interessieren wie oft diese Schreihälse mit den Jets unterwegs sind.

  • RW
    Rocco Weyers

    Das ist wohl etwas voreilig geurteilt. Der Protest läuft gerade an und ist nach nicht einmal sechs Wochen schon sehr professionell organisiert. Die Gelder fliessen noch langsam in die Vereinskassen. Das wird sich in Kürze mit Sicherheit ändern. Gerade die Wirtschaftskraft des Südwestens ist eines der stärksten Argumente für eine Justierung der Pläne. Warum eines der wachstumsstärksten Gebiete schwächen, in welches von Brandenburg, Berlin und dem Bund Milliardeninvestitionen in Form von Infrastruktur, Schulen und Wirtschaftsförderung flossen und fliessen?

     

    Ja, der Wohlstand in dieser Region ist beneidenswert. Das Geld, welches mittelständischen Auftragnehmern in Bau- und Dienstleistungsbranchen zu Aufträgen verhilft, kommt aber der gesamten Region zu Gute, am Ende in Form von Steuern. Eine einfache Rechnung: 1000 neue Einfamilienhäuser sind im Schnitt mal eben 300 Millionen Euro. Allein im ersten Halbjahr 2010 wurden in Potsdam Mittelmark über 500 Baugenehmigungen für Neubauten erteilt!

     

    Dieser Investitionsstrom ist mit sofortiger Wirkung gestoppt. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die lokalen Handwerker aus den paradiesischen Zuständen erwachen, die sie aufgrund der Konjunkturpakete momentan geniessen und merken, dass die private Nachfrage in den "Reichenvierteln" fehlt. Die Wirtschaftlichkeit eines Flughafens endet nicht an der Startbahn. Und der Einfluss der Prominenz nicht am Gartenzaun.

     

    Mit freundlichem Gruß

    Rocco Weyers

  • S
    Sebastian

    Ich fordere Solidarität mit den Gegners des Flughafens, wir brauchen deutschlandweit Proteste dagegen!

  • UB
    Udo Böhlefeld

    Schön, dass es über der Stadt insgesamt ruhiger werden wird. Nur: Davon haben wir jenseits der Berliner Stadtgrenze nichts. Wie Viele sind auch wir vor einigen Jahren aus der Stadt gezogen, weil es zu laut war und weil unsere Tochter eben nicht in Friedrichshain oder Schöneberg aufwachsen sollte, ständig umgeben vom Lärm und Dreck der Stadt. Und dafür mussten wir uns hoch verschulden. Demnächst können wir nicht einmal mehr umziehen, denn den Preis, den wir für das Grundstück allein hinlegen mussten, werden wir angesichts dieses Husarenstücks niemals mehr dafür erzielen.

    Was die Forderung nach Baustopp angeht, so hat die taz nur bedingt recht: Wir sind beim Planfeststellungsverfahren böswillig hinters Licht geführt worden. So wurden Bewohner der Region Teltow/Kleinmachnow/Stahnsdorf beschieden, sie könnten Einsprüche gegen den BBI nicht geltend machen, ihhre Regin sei nicht betroffen. Heute müssen wir feststellen: Wir sind betroffen.