Kommentar FDP und Datenspeicherung: Erst die Kanzlerin, dann die EU
Sollten in der FDP mehr Leute ihr Herz gegen die Vorratsdatenspeicherung entdecken, wäre das inhaltlich zu begrüßen. Taktisch wäre es Kamikaze.
D ie Justizministerin kann stur sein, das hat sie mehrfach bewiesen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die 1995 aus Protest gegen den großen Lauschangriff als Ministerin zurücktrat, steht für einen Politikertypus, der selten geworden ist in der FDP: Sie hat Überzeugungen und kämpft für sie.
Wie wenig Angst sie vor offenen Eskalationen hat, beweist sie jetzt beim lange köchelnden Koalitionsstreit über die Vorratsdatenspeicherung. Obwohl die Kanzlerin Druck macht, obwohl die EU drängelt, gibt die Ministerin keinen Millimeter nach.
Für Angela Merkel und ihre schwarz-gelbe Koalition ist diese Situation gefährlich. Denn die Überzeugungstäterin Leutheusser-Schnarrenberger könnte wichtige und unerwartete Unterstützer finden. Zum Beispiel ihren Parteichef Philipp Rösler. Der erweckte bisher nicht gerade den Eindruck, sich wirklich für Bürgerrechte oder Datenschutz zu interessieren. Stattdessen setzte er auf die ideologische Reanimation eines veralteten Wachstumsbegriffs.
Angesichts der trüben Lage seiner Partei könnte sich das aber ändern. Die FDP läuft Gefahr, in Kürze aus drei Landtagen zu fliegen. Und Rösler ist verzweifelt auf der Suche nach Profilierungschancen, weil mit diesen Wahlen auch seine politische Zukunft verknüpft ist. Hinzu kommt: Er schreckt inzwischen auch vor koalitionsgefährdendem Kamikaze nicht mehr zurück – siehe Gauck.
Gäbe Rösler der Versuchung nach, sein Herz gegen die Vorratsdatenspeicherung zu entdecken, wäre dies inhaltlich nur zu begrüßen: Schließlich stünde der FDP eine Profilschärfung auf dem Feld der Bürgerrechte gut zu Gesicht. Doch taktisch liefe es auf die nächste Kamikaze-Attacke hinaus. Denn dieses Mal gilt es nicht nur, Kanzlerin und Union zu überwinden, sondern gleich die ganze EU.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
USA entwerfen UN-Resolution zum Krieg in der Ukraine ohne jede Kritik an Russland