Kommentar Europa nach den Wahlen: Wachstum, Wachstum
Schwarz-Gelb in Deutschland bedeutet: Ein europaweiter Atomausstieg ist so gut wie tot.
I n Portugal wurden die Sozialdemokraten beinah so hart abgestraft wie in Deutschland. Doch der sozialdemokratische Regierungschef José Sócrates kann als Chef einer Koalition mit den Kommunisten und dem gestärkten Linksblock wohl im Amt bleiben.
Wir sollten uns aber nichts vormachen: Sócrates gehört einer aussterbenden Spezies an. Nur 6 der 27 europäischen Regierungen werden noch von Sozialisten oder Sozialdemokraten geführt. In drei weiteren Ländern regieren sie mit. Bis Sonntag waren es vier - darunter das größte EU-Mitgliedsland.
Angesichts dieser Lage wirkt es etwas realitätsfremd, wenn Martin Schulz, der Fraktionsführer der Sozialisten im Europaparlament, Anspruch auf Schlüsselposten in Europa anmeldet. Schulz will, dass wichtige Wirtschaftsressorts in der EU-Kommission mit Sozialdemokraten oder Sozialisten besetzt werden. Kommissionschef Manuel Barroso sagt, er hätte nichts dagegen. Doch, fragt er verzweifelt, wo sollen diese Männer und Frauen herkommen, wenn es keine linken Regierungen mehr gibt, die sie nach Brüssel schicken können?
Parteichef Poul Rasmussen, der seine PES noch immer für die zweitstärkste politische Kraft in Europa hält, will auch bei den anderen Posten ganz oben mitmischen. Den neu geschaffenen Posten des Europäischen Ratspräsidenten will er mit einem Parteifreund besetzen oder wenigstens den neuen Europäischen Außenminister stellen. Doch warum sollten 21 konservative Regierungen den verbliebenen 6 sozialistischen Regierungschefs so ein Geschenk machen?
Der Postenschacher rund um den wackligen Vertrag von Lissabon wird in den nächsten Wochen die Beteiligten wohl mehr beschäftigen als die drängenden politischen Fragen. Wenn aber die schwarz-gelbe Regierung in Berlin steht und die europäischen Pfründen verteilt sind, wird sich deutlich zeigen, dass der Regierungswechsel in Deutschland auch einen Richtungswechsel für Europa bedeutet.
Die EU hat sich seit ihrer Gründung vor allem über einen reibungslos funktionierenden Binnenmarkt und kontinuierliches Wachstum definiert. Die Erkenntnis, dass ein Warenmarkt ohne Grenzen gleichzeitig ein grenzenloser Arbeitsmarkt ist, auf dem es soziale Mindeststandards geben muss, setzte sich nur sehr langsam durch. Mit einer schwarz-gelben Bundesregierung sind Mindestlöhne und ein neues faires Entsendegesetz vom Tisch.
Auch die Einsicht, dass der Klimawandel nicht durch technische Wundermittel, sondern nur durch sparsameren Umgang mit Energie und nachhaltige Technologien verlangsamt werden kann, kam den Europäern spät. Inzwischen werden in Finnland neue AKWs gebaut, in Großbritannien und Frankreich sind sie in Planung. Belgien will den Atomausstieg überdenken. Deutschland wird dasselbe tun. Beim Emissionshandel wird die FDP noch stärker als die CDU versuchen, heimische Industrien zu schonen und mit kostenlosen Verschmutzungszertifikaten zu versorgen. Sie baut auf die CCS-Technologie, die irgendwann in der Zukunft Kohlendioxid abfangen und unterirdisch verpressen soll. Welche zusätzlichen Umweltrisiken das mit sich bringt, weiß heute noch niemand.
Der Wirtschafts- und Finanzkrise will die FDP hauptsächlich mit Steuersenkungen beikommen. Zwar drängen die Liberalen im Europaparlament auf eine starke europäische Regulierungsbehörde und einheitliche Spielregeln für alle europäischen Banken, Versicherungen und Wertpapierhändler. Doch den deutschen Liberalen scheint dieses Thema nicht sonderlich am Herzen zu liegen.
Einzig bei den Bürgerrechten könnte der Wahlsieg der Guido-Westerwelle-Partei einen positiven Schub bewirken. Gegen die Datensammelwut und den gläsernen Bürger will die FDP kämpfen. Doch wenn sich die schwarz-gelbe Koalition darauf einigt, Wolfgang Schäuble als neuen EU-Kommissar nach Brüssel zu schicken, wird daraus nichts. Für all die schönen Datenbanken, die es in Europa bereits gibt, hat er in seinem privaten Antiterrorfeldzug bestimmt eine gute Verwendung.
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