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Kommentar Entschädigung für StrahlenopferEin Tropfen auf den strahlenden Stein

Dorothea Hahn
Kommentar von Dorothea Hahn

Das französische Gesetz zur Entschädigung von Strahlenopfern ist zwar ein Fortschritt, kommt aber zu spät.

B esser spät als nie: Es ist ein Fortschritt, dass in Paris erstmals ein Regierungsverantwortlicher einen Gesetzentwurf zur Entschädigung der Atomtestopfer vorgelegt hat. Schwerkranke Menschen, die an Krebs und anderen Strahlenfolgen leiden und an Atomtests teilgenommen haben, müssen sich künftig nicht mehr einer zusätzlichen Tortur vor Gericht unterwerfen. Sie müssen nicht mehr ganz allein und auf verlorenem Posten gegen die stärkste und geheimnistuerischste Institution der Republik kämpfen: das Militär.

Der Gesetzentwurf enthält eine Umkehr der Beweislast. Bislang mussten die Opfer Informationen liefern - etwa über die Dauer und die Höhe ihrer Strahlenexpositionen -, die sie nicht hatten. Künftig liegt es beim Verteidigungsministerium, gegebenenfalls nachzuweisen, dass es keinen Zusammenhang zwischen Strahlenbelastung und einer Krankheit gibt. Begrüßenswert ist auch, dass der Gesetzentwurf keine "Mindeststrahlung" vorsieht, sondern grundsätzlich jedem Atomtestopfer, das eine von achtzehn Pathologien entwickelt, den Weg zu einer Entschädigung öffnet.

Dennoch ist das Gesetz kein Anlass zum Jubel. Dazu kommt es zu spät und ist zu schäbig ausgestattet. Es hat ein halbes Jahrhundert gedauert, bis Frankreich diesen ersten zaghaften Zweifel an der Unfehlbarkeit seiner Atomtestlogik und damit seiner nationalen Verteidigungsdoktrin zugelassen hat. 50 Jahre und 210 Atomtests, in denen unzählige Menschen grausam und einsam gestorben sind. Nicht einmal die Zahl der bereits toten und noch lebenden Opfer ist bekannt. Der französische Staat, der behauptet, seine Atomtechnologie perfekt zu beherrschen, verbirgt das Ausmaß des Leids seiner Opfer. Im Interesse der Glaubwürdigkeit seiner nuklearen Abschreckung.

Und der jahrzehntelange erbärmliche Umgang mit den Strahlenopfern setzt sich heute weiter fort. 10 Millionen Euro will der Verteidigungsminister für die Entschädigungen zur Verfügung stellen. Das sind 70 Euro pro AtomtestteilnehmerIn. Ein Tropfen auf den strahlenden Stein. Und eine vor allem symbolische Geste. Um sich moralisch zu rehabilitieren, liegt noch ein weiter Weg vor dem Atomstaat Frankreich.

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Dorothea Hahn
Korrespondentin
Kommt aus Köln. Ihre journalistischen Stationen waren Mexiko-Stadt, Berlin, Paris, Washington und New York.
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1 Kommentar

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  • JP
    Joachim Petrick

    Die brisante Gemengelage ziviler, miltärischer Nutzung der Kernernergie, samt verheerend strahlender Geschichte der Atom- Test- Reihen wird an dem hinhaltenden Beispiel des Entschädigungsangebots der französischen Regierung für Opfer atomarer Tests der „Force de Frappe“ deutlich. Deutlich wird, dass die Atomindustrie, kommuniziert, konzipiert als Globalplayer noch weit davon entfernt ist, global für lokale Ereignisse der Kernenergie, zivil wie militärisch, Katstrophenpläne und Entschädigungsfonds wie –verfahren zu entwickeln (s. der unvorbereitete wie unverantwortliche Umgang der Atomagentur der UNO mit den Opfern des GAUS von Tschernobyl 1986 und anderswo).

    Die zivilen Opfer unter den Einwohnern/innen der ehemaligen Testgebiete der „Force de Frappe“ fallen nicht unter das Entschädigungsgesetz der französichen Regierung.

    Angesichts solcher Verschleppungstaktiken gegenüber der Anerkennung des „Forderungeigentum“ der Opfer stellt sich die Frage nach einer Klage vor dem Internationalem Strafgerichtshof in Den Haag wegen Organisationsverschulden bis Regierungskriminalität der französichen Republik!?

    JP