Kommentar Energiereport IEA: Letzte Warnung vor Kopenhagen
Den Appell nach einer radikale Energiewende ausgerechnet von der IEA zu hören, ist schon für sich eine bemerkenswerte Tatsache. Aber ein zweiter Blick lohnt.
V ier Wochen vor dem Weltklimagipfel in Kopenhagen versuchen nun auch die Experten der Internationalen Energieagentur IEA, die verbliebenen Klima-Phlegmatiker wachzurütteln. Der World Energy Outlook der IEA ist ein Weckruf an alle, die den Kampf gegen die Erderwärmung auf die lange Bank schieben möchten. Und das sind in der hohen Politik bekanntlich noch viele. Wenn auf dem Gipfel in Kopenhagen keine "solide Vereinbarung" erzielt wird, so schreibt die IEA in ihrem neuen Energiebericht, dann wären die Folgen "verheerend".
Den Appell für eine radikale Energiewende ausgerechnet von der IEA zu hören, ist schon für sich eine bemerkenswerte Tatsache. Denn stets waren die Berichte der Energieexperten für Klimaschützer mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Das liegt in der Geschichte der IEA begründet.
Die Agentur entstand vor 35 Jahren unter maßgeblicher Beteiligung des damaligen US-Außenministers Henry Kissinger als Reaktion auf den Ölboykott der Opec-Staaten. Teil der politischen IEA-Mission war von Beginn an, dabei zu helfen, die widerspenstige Gemeinschaft der Ölförderländer im Zaum zu halten. Bis heute trägt die IEA dazu bei, indem sie die Ölvorkommen außerhalb der Opec-Staaten hoch- und - ganz im Sinne des maßgeblichen IEA-Geldgebers USA - gelegentlich auch schönrechnet.
Tarik Ahmia ist Redakteur der taz im Ressort Ökologie und Wirtschaft.
Deshalb lohnt auch beim World Energy Outlook ein zweiter Blick. Denn anders als oft wahrgenommen wird, stellt auch der World Energy Outlook keine Prognose, sondern nur unterschiedliche Szenarien dar. Dieser feine, aber entscheidende Unterschied ist bedeutsam, weil die IEA in einem "Szenario" die Parameter im Zweifelsfall nach Belieben setzen kann. Wen überrascht bei diesem Verfahren dann noch, dass nicht nur die Erdölvorkommen groß sind, sondern erneuerbare Energien laut IEA mit 8,6 Prozent im Jahr 2030 nur einen relativ geringen Anteil zur globalen Energieversorgung beitragen können.
Jenseits aller politischen Einflüsse ist die Organisation zweifellos aber eine wichtige Sammelstelle für wissenschaftliche Fakten. Die Verhandler, die nun bald im Namen der reichen Industriestaaten in Kopenhagen über die Zukunft des Planeten beraten, sollten deshalb besonders eine Erkenntnis des IEA-Berichts in ihren taktischen Planungen berücksichtigen: Für den Anstieg der Treibhausgasemissionen werden in Zukunft vor allem aufstrebende Schwellenländer wie China und Indien verantwortlich sein.
Sollten diese Länder bei dem Nachfolgevertrag zum Kioto-Protokoll nicht mitmachen, ist es das Papier nicht wert, auf dem es steht. Daraus folgt: Ohne deutliche politische und finanzielle Zugeständnisse der reichen Länder an diese Staaten wird auch Kopenhagen ein Gipfel der schönen Worte bleiben.
Jetzt, wo selbst konservative Experten des Energie-Establishments eine Energiewende fordern, werden die Industrieländer hoffentlich genügend Vernunft besitzen, um diese Chance nicht erneut ungenutzt verstreichen zu lassen. Und das nicht nur, weil sich fehlender Klimaschutz einfach nicht mehr rechnet.
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