Kommentar Ende des Auschwitz-Prozesses: Ein deprimierendes Signal
Der Prozess erinnert an die frühere Kumpanei der Justiz mit Nazi-Tätern. Sein Ende wirkt der Auseinandersetzung mit dem NS entgegen.

D ie Einstellung des Verfahrens gegen den mutmaßlichen Auschwitz-Täter Hubert Z. ist bitter, aber sie ist notwendig. Wenn ein Angeklagter aus Krankheitsgründen einem Verfahren nicht mehr folgen kann, dann muss dieses beendet werden, so schwerwiegend die Vorwürfe gegen ihn auch sein mögen.
Doch diese Einsicht ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich hat der Neubrandenburger Prozess eindrücklich über quälende Monate hinweg gezeigt, wie man ein NS-Verfahren nicht führen darf. Mehr noch: Der Prozess hat an die längst vergangen geglaubten Tage der bundesdeutschen Justiz erinnert, als mutmaßliche Nazi-Täter mit Langmut und Kumpanei seitens der Richter rechnen durften.
Tatsächlich hat das Gericht in Mecklenburg alles nur Erdenkliche unternommen, um sich dem Verdacht der Voreingenommenheit auszusetzen: Es hat Nebenklagevertreter und die Staatsanwaltschaft wie Schuljungen behandelt, einen unbequemen Gutachter heruntergeputzt, Anträge auf die Zulassung zur Nebenklage von Auschwitz-Überlebenden abgelehnt und zugleich dafür gesorgt, dass der Prozess in seinen Anfängen stecken blieb. Dies alles geschah mit dem offensichtlichen Ziel, sich des Verfahrens ohne ein Urteilsspruch zu entledigen.
Und das Ergebnis? Die Richter sind entfernt worden und gelten inzwischen als dienstunfähig. Der greise Angeklagte bleibt ein freier Mann. Viel schlimmer ist noch, dass den Überlebenden ein Urteil gegen einen mutmaßlichen Peiniger von Auschwitz versagt blieb. Ihnen wurde bedeutet, dass sie in Neubrandenburg unerwünscht sind.
Das Ende dieses Verfahrens, so rechtsstaatlich es auch ist, konterkariert alle gesellschaftlichen Bemühungen zur Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte.
Denn es besagt letztlich: Es ist nicht wichtig, ob mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust die Gerechtigkeit an erster Stelle steht.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Forscher über Einwanderungspolitik
„Migration gilt als Verliererthema“
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Abschied von der Realität
Im politischen Schnellkochtopf
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Russlands Angriffskrieg in der Ukraine
„Wir sind nur kleine Leute“
US-Außenpolitik
Transatlantische Scheidung