Kommentar Elterngeld: Kinder, Kinder
Mit dem neuen "Elterngeld" stehen nicht nur einkommensschwache Familien schlechter da. Auch für die Mittelschicht gibt es "Kröten" zum schlucken.
W enn das Kind in der Nacht zum dritten Mal erwacht, wenn es schreit und schreit und die Eltern schon wieder nicht durchschlafen können - dann, in solchen Momenten, stellt sich manches Paar die Frage, ob das wirklich so eine gute Idee war mit dem Nachwuchs. Und hat nicht auch das Elterngeld dazu motiviert, dieses Wagnis einzugehen? Immerhin soll das Staatsgeld die ersten vierzehn Monate die Kleinfamilie finanziell absichern.
Dachte das Paar. Bis es gemerkt hat, dass es für die Frau tatsächlich nur zehn Monate Elterngeld gibt, weil der Mutterschutz angerechnet wird. Bis es gemerkt hat, dass sich der freiberuflich arbeitende Mann das Honorar für den letzten Auftrag besser nicht in seinen Elternmonaten auszahlen lassen sollte, weil es dann mit dem Elterngeld verrechnet wird. Bis das Paar gemerkt hat, dass das Amt ganz anders rechnet als die Eltern selbst bei der Berechnung des zu erwartenden Elterngeldes - nämlich wesentlich sparsamer.
Wenn sich die Familienministerin und deutsche Obermutti Ursula von der Leyen jetzt selbst zum großen Erfolg des Elterngeldes gratuliert, dann wirkt sie dabei wie eine Kindergartentante, die den lieben Kleinen ein Breichen schmackhaft machen will, das tatsächlich längst nicht so lecker ist wie vorher von ihr versprochen. Es ist nicht die Idee des Elterngeldes selbst, die zu kritisieren wäre - die ist nach wie vor gut und hat vielen Vätern ermöglicht, sich beim Arbeitgeber mit guten Argumenten in die Erziehungszeit zu verabschieden. Auch dass von der Leyen einkommensschwache Eltern beim Elterngeld im Vergleich zur vorherigen Regelung krass schlechter gestellt hat, mag man ihr nicht vorwerfen: Für die Unterschicht hat sich die Ministerin noch nie interessiert. Aber auch bei der von ihr zum ungeschützten Sex verführten Mittelschicht bleibt das Gefühl, nicht die ganze Wahrheit erfahren zu haben, bevor krabbelnde und sabbernde Tatsachen geschaffen wurden und das Haushaltsgeld knapp wird.
Ein Glück für Familienministerin Ursula von der Leyen, dass sich niemand allein wegen des Elterngelds dazu entschließt, Kinder zu bekommen. Bei Tageslicht betrachtet gibt es noch genügend andere gute Gründe dafür.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Bildungsforscher über Zukunft der Kinder
„Bitte nicht länger ignorieren“