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Kommentar Bush-Putin-TreffenDie Rätsel von Sotschi

Kommentar von Adrienne Woltersdorf

Verwunderlich, dass US-Präsident Bush glaubte, Russland beim Abschiedstreffen für ein Raketenschild in Osteuropa gewinnen zu können.

Bild: taz

Adrienne Woltersdorf ist USA-Korrespondentin der taz

Die US-russischen Beziehungen sind eisig und geprägt von ständigem Streit über die Nato-Erweiterung, den Iran, das Kosovo und die geopolitische Konkurrenz beider Großmächte im Kaukasus und in Zentralasien. Umso verwunderlicher erscheint es, dass US-Präsident George W. Bush ernsthaft meinte, den russischen Präsidenten Wladimir Putin schnell noch für seinen Plan gewinnen zu können, ein Raketenschild in Osteuropa zu stationieren. Das Weiße Haus hatte die diplomatischen Zeichen aus Moskau mal wieder falsch gedeutet und geglaubt, im Kreml gäbe es so etwas wie eine Neuausrichtung der Interessenlage. Dass dem nicht so ist, konnte die von beiden Männern in Sotschi demonstrierte Kamaraderie nicht übertünchen.

Putin tritt im kommenden Monat ab. Bush tritt im kommenden Januar ab. Zu dem Gespräch der beiden war Putins Nachfolger, Dimitri Medwedjew, nicht einmal eingeladen. Warum Bush mit Putin im April verhandelt statt mit Medwedjew im Mai, ist bei der Sache nur das erste Rätsel. Das nächste ist die Frage, ob Bush ernsthaft glaubt, dieses Projekt als lahme Ente, die er ist, zu Hause noch durch den Kongress bringen zu können. Der Raketenschild ist auch in den USA quer durch beide Parteien umstritten, sowohl aus politischen als auch aus finanziellen und technischen Gründen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Demokraten Barack Obama oder Hillary Clinton, sollten sie ins Weiße Haus einziehen, dieses Vorhaben in seiner jetzigen Form weiter verfolgen werden. Sollte der Republikaner John McCain Bush beerben, wird er den Plan wohl weiter ausführen. Sicher aber wird er zunächst andere Prioritäten setzen müssen, zum Beispiel im Irak, statt sich gleich mit Medwedjew über ein Raketenschild zu zanken, dessen Wirksamkeit niemand garantieren kann.

Es lohnt sich nicht mehr, über Bushs bemerkenswertes Talent für unzeitgemäße Politik zu lamentieren. Bei den republikanischen Hardlinern bekommt er für ergebnislose Hartnäckigkeit sicher noch ein paar Sympathiepunkte. Der Rest des Landes hat kaum wahrgenommen, dass Bush außer Landes war. ADRIENNE WOLTERSDORF

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