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Kommentar BundeswehrVon wegen Staatsbürger in Uniform

Kommentar von Christian Semler

Der Bericht des Wehrbeauftragten legt nahe: Bei der Armee sind Entwürdigungen Alltag. Aufklärung wird versprochen, droht aber zu verpuffen. Im Militär kann man vom Drill nicht lassen.

E rst war nach dem Todessturz einer Offiziersanwärterin auf dem Schulschiff "Gorch Fock" von Meuterei der Auszubildenden die Rede. Dann verdichteten sich Informationen über die Behandlung dieser Offiziersanwärter durch die Stammbesatzung zu einem Bild systematischer Entwürdigung. Der Kapitän, erst von zu Guttenberg vor Vorverurteilung geschützt, wurde mit einer jähen Wendung vom Verteidigungsminister geschasst. Wieder nur ein Einzelfall, auf keinen Fall zu verallgemeinern?

Der gestern vorgelegte Jahresbericht des Wehrbeauftragten Hellmut Königshaus legt einen anderen Schluss nahe. In dem Bericht ist zu lesen: "Oft gehen beleidigende Äußerungen mit anderen schwerwiegenden Pflichtverletzungen einher." Es mangele den Tätern bei der Erteilung von rechtswidrigen Befehlen "an Unrechtsbewusstsein für ihr Handeln". Man beachte das Wörtchen "oft".

Es lohnt sich, den Bericht von Königshaus mit dem seines Amtsvorgängers Reinhold Robbe von 2009 zu vergleichen. Der hatte nach der Aufdeckung der widerlichen Initiationsrituale bei einem Zug der Gebirgsjäger in Mittenwald umfassende Aufklärung über solche Praktiken gefordert. Im Laufe eines Jahres ist nichts passiert. Wenn jetzt der Verteidigungsminister eine strenge Kontrolle aller Waffengattungen angeordnet hat, ist das Ergebnis dieser Art von "Aufklärung" absehbar. In seinem Bericht hat Königshaus moniert, dass es bei der Dienstaufsicht Defizite gäbe. Was nichts anderes heißt, als dass rechtswidrige Handlungen der Ausbilder von ihren Vorgesetzten geduldet oder sogar gedeckt würden. Allerdings bietet der Verteidigungsminister selbst, was die Dienstaufsicht anbelangt, das denkbar schlechteste und abschreckendste Vorbild.

Eigentlich wäre es jetzt für die Führung der Bundeswehr an der Zeit, die Grundsätze der "Inneren Führung", also die Forderung nach dem "Staatsbürger in Uniform", zu bekräftigen und das Recht auf Befehlsverweigerung gegenüber menschenunwürdigen Befehlen gerade im Fall der "Gorch Fock" hervorzuheben. Stattdessen hören wir von einem Oberst der Koblenzer Militär-Bildungseinrichtung, also aus dem Zentrum der Inneren Führung, nur ein mattes "Ja, aber". Zwar müsse die Menschenwürde stets die Grenze des Zumutbaren für Rekruten bilden, aber "diese Grenze ist manchmal schwer zu finden". Grundsätzlich gilt weiter: "Drill muss sein."

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9 Kommentare

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  • FB
    Franz Beer

    Ich bin Jahrgang 58.War zur Grundausbildung in Idar-oberstein.Damals wurden neue Rekruten mit Schuhcrem eingeschmiert und dann mit ,,,penetriert. Das war so üblich Cannabis und Alkohol in Mengen bei uns.Komasaufen war üblich.Mobile Radargeräte wurden auch mal aus Spaß auf die Genitalien von Rekruten u offizieren ausgerichtet.Mangels Munition wurde auch mal Peng-Peng geschrien.Die Rekruten die verweigern wollten waren echt nicht zu beneiden.Ich habe diesem Karnevalsverein nach 3 Monaten den Rücken gekehrt.Hab Verweigert .mit allem was dazugehört.Verhandl.einspruch .Verhandl. usw usw.Nur nachdem ich mehr beiläufig erwähnt hatte .ja ich hab mal cannabis konsumiert.Da war sofort schluß.Diese Hirachie wurde übergangslos von der Wehrmacht übernommen.Befehle weren nicht hinterfragt-Kadavergehorsam.Bürger in Uniform? Das ich nicht lache.75 % der Bundesbürger möchten das es Kein Afghanistanmandat mehr gibt.Was dann .Dann kann der Bürger die Uniform ausziehen,und Herr Gutenberg showmaster werden

  • B
    Bernhard

    Bereits in der Grundausbildung wurden wir vom Spieß in Braunschweig - Roselies-Kaserne - als ca. 19-Jährige darauf hingewiesen, wo es die besten Puffs gibt. Richtige Soldaten gehen allemal in den Puff, da sollte sich keine Daheimgebliebene was vormachen. Ein gern verbreiteter Blödsinn ist, dass Regeln eingehalten würden. Wer nachts auf Streife geht in mannshohen Brennnesseln (in Braunschweig) und gesagt bekommt, dass das Gelände mit Hallen unbekannten Inhalts (es war ja so geheim...) ggf. angegriffen werden könnte, macht doch nicht die vorschriftsmäßigen Anrufe ("Halt stehenbleiben"). Mein Streifenkamerad und ich hätten sofort auf alles geschossen. Und ich kann nur jedem raten, es genauso zu machen. Bewährt hat sich übrigens beim letzten Krieg, Schleifer und Drangsalierer selbst zu erlegen - diese Lehre hab ich jedenfalls öfter berichtet bekommen und für mich als prima Option gespeichert. Ich halte jeden für ausgesprochen unterentwickelt, der glaubt, dass er in Afghanistan irgendetwas Gutes bezweckt. OK: Die Heroinproduktion floriert, und man kann neue Waffen und Taktiken testen. Leute mit Helfersyndrom sollten z. B. Altenpflege betreiben oder soziale Jahre einlegen, in Friedensgebieten Aufbau betreiben usw. Die, die dort als Soldaten in der Scheiße sitzen, bringen als Souvenir mit heim, dass sie Dinge, die sie getan haben oder wo sie Beihilfe geleistet haben, nicht erzählen können, ihre Kinder, Frauen und Familien vernachlässigt haben und in diesem staubigen Flecken - entgegen aller Propaganda - fast niemandem willkommen waren. Sie haben nur den Geschäftsführer von Halliburton und jetzigen Geschäftsführer von Afghanistan und seine Banden unterstützt. Damit di Leute dort später auch MCDonalds fressen und sich gegenseitig verkaufen.

  • VW
    Von wegen moderne Armee

    @Andreas Suttor:

    "Drill - man könnte auch sagen psychomotorisches Lernen"

    das Konzept vom psychomotorischen Lernen kenn ich aus dem Kampfsport, da hab ich viel gelernt auch ohne Anbrüllen, Erniedrigung und Männerbündler-Rituale. Sie reden sich da was schön, was längstens reformiert gehört. Würden bei der Bundeswehr solche modernen Lernkonzepte umgesetzt, es sähe anders aus mit dem Medienecho.

     

    Ich finde, es sollte mal gesellschaftlich wirklich offen darüber geredet werden, was wir mit dieser Armee in Afghanistan wollen, ob diese Armee nötig bzw. zeitgemäss ist und ob es wirklich legitim und akzeptabel ist, wie unsere Regierungen mit den Soldaten operieren - d.h. wo und zu was sie sie einsetzen und auch, wie sie mit ihnen umgehen.

    "Alle Gewalt geht vom Volke aus." Wessen Armee ist das eigentlich?

  • AS
    Andreas Suttor

    Wie so oft wird wieder einmal pauschalisiert. Richtig ist, daß militärische Führungsverantwortung sehr viel anspruchsvoller als Führungsverantwortung in einem Unternehmen ist - deswegen werden auch mehr Fehler gemacht. Richtig ist auch, daß nicht in jedem Fall die Dienstaufsicht ausreichend wahrgenommen wird und daher Exzesse passieren. Das aber ist nur die eine Seite der Medaille.

    Richtig ist nämlich auch, dass das Konzept der Inneren Führung mit dem Untergebenen als mündigem Staatsbürger in weiten Teilen greift und so auf der Welt einmalig ist. Eine Tatsache, die uns stolz auf unsere Armee machen sollte.

    Und richtig ist auch, daß Drill - man könnte auch sagen psychomotorisches Lernen - weiter unabdingbar ist. Nur so lassen sich überlebenswichtige Techniken so einüben, daß sie auch in Stress- und Krisensituationen angewandt werden - und das rettet Leben.

  • G
    Günther

    Jedem Soldaten wird im Unterricht eingebläut, dass er menschenunwürdige Befehle nicht auszuführen braucht. Das Aufentern in die Takelage gehört eindeutig nicht dazu. Das Aufwischen des Erbrochenen von Vorgesetzten schon eher. Aber wenn man zum Putzdienst eingeteilt ist - will man sich dann nur auf "angenehmen" Schmutz beschränken? Ob man es mag oder nicht: eine militärische Einheit kann in der Regel nur funktionieren, wenn Befehle von Vorgesetzten auch ausgeführt werden, ohne dass erst langwierige Erklärungen und Diskussionen erfolgen. Das nimmt niemanden die Verantwortung für sein Tun. Die heutige Generation der Soldaten wird zum Glück dazu angeregt, Zuwiderhandlungen gegen die Grundsätze der Befehlsgebung zu melden. Dadurch, dass ein großer Teil der Soldaten stets Wehrpflichtige waren, war das Kritikpotenzial stets hoch. Ich fürchte, dass durch die Aussetzung der Wehrpflicht und das ausschließliche Anheuern von Freiwilligen der Common Sense in Sachen Befehlsrahmen ins Unkritische Verschoben wird. Dann passiert das, was anscheinend jahrelang auf der Gorch Fock mit ihrer Besatzung aus Zeit- und Berufssoldaten, darunter den freiwilligen Offiziersanwärtern, stattfand: "Sie haben sich doch freiwillig gemeldet, also müssen sie auch da durch: Hören Sie auf rumzumemmen"! Ein Wehrpflichtiger, der sich beschwert, fürchtet nicht um seine Karriere beim Bund, ein Offiziersanwärter schon eher.

     

    Der Bezug auf Drill im Kommentar ist übrigens Fehl am Platz in diesem Zusammenhang. Er ist absolut notwendig, oft sogar überlebensnotwendig, denn Drill sorgt dafür, dass Handlungen instinktiv unter Stress ausgeführt werden können. Würde zum Beispiel die Beseitigung von Waffenstörungen oder das Verhalten unter Beschuss sowie die Befehlsgebung nicht immer wieder drillmäßig geübt, hätten wir wahrscheinlich inzwischen noch mehr Tote in Afghanistan zu beklagen.

     

    Dazu gehören auch Tätigkeiten auf einem Schiff. Wenn Soldaten allerdings Höhenangst haben, dann ist es selbstverständlich falsch, ihnen das Aufentern zu befehlen. Diese Angst ist auch nicht ausschlaggebend dafür, ob man später mal ein guter oder schlechter Offizier wird. Entbehrungen in der Ausbildung zu erleiden und zu teilen und nicht davor zu kapitulieren schon. Es gibt einen Grundsatz, den ich in meiner Offiziersausbildung verinnerlicht habe: Führen durch Vorbild und verlange nicht von anderen, was du selber nicht bereit bist zu leisten.

  • W
    WiKuKI

    und diese total verkorkste Wehr (ob Bundes- Reichs- oder -macht ist da wohl wieder egal) wird ab Juli 2011 zum Staat im Staat als "freiwilligen Armee" - muss also RekrutInnen "anwerben".

    Da wird der gegelte fränkische Baron aber noch viel Geld in Marketing-Maßnahmen stecken müssen. Der Bericht des Wehrbeauftragten wird definitiv KEINE Werbewirkung entfalten...

  • K
    Karl

    Leider gibt es Handlungsschemata die, wollen sei auch unter Stress beherrscht sein, sich jeder ankonditionieren muss; gerade bei der Waffenausbildung scheints ja sehr zu mangeln.

     

    Schließlich ist auch ein "Staatsbürger in Uniform" selbst für der sicheren Umgang mit seiner Dienstwaffe verantwortlich, Befehlskette hin oder her.

     

    Leider gibts zu viele Leute in

    der Truoppe denen man Sicherheitsverhalten ankonditionieren muss, denn von sich aus kommen die nicht drauf!

     

    Aber wie uns ein in letzter Zeit populäür gewordenes Vorurteil doch glauben machen will:" nur in der Hand staatlicher Organe sind Schusswaffen ungefährlich"

     

    Fraglich,ob T. Eisenberg oder der erschossene

    HG das genauso sehen würden.

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • A
    anke

    Aber selbstverständlich muss er sein, der Drill! Besonders dann, wenn man als Kapitän genötigt wird, jungen Frauen, die der Schulhofwerbung auf den Leim gegangen sind, zu beweisen, dass sie nicht für den Dienst am Segel geeignet sind, auch wenn die blöden Sesselfurzer im Verteidigungsministerium das anders gesehen haben. Was wissen die schon von den Härten der christlichen Seefahrt? Landratten! Überhaupt: Ein Soldat muss bereit sein, jederzeit auf Befehl seines Vorgesetzten sein Leben zu lassen. Wo kämen wir denn hin, wenn jeder Offizier anfangen wollte, mit seinen Soldaten den tieferen Sinn von Befehlen zu diskutieren? Eine Armee, deren Ziel im Überleben besteht, ist doch jeder hergelaufenen Piratenhorde hoffnungslos unterlegen! Die, nicht war, haben gar kein bürgerliches Leben, das sie verlieren könnten!

  • TH
    Thorsten Haupts

    Wenn man Vorurteile bestätigt sehen will, liest man nur noch, was man lesen will. In diesem Falle überliest man natürlich grosszügig, dass der Wehrbeauftragte klar feststellt, das es KEINE allgemeine Verrohungstendenz in der Bundeswehr gibt. Angesichts der eindeutig pazifistischen Grundhaltung der taz darf der Autorin darüberhinaus unterstellt werden, es gehe ihr kaum um eine "bessere" Bundeswehr. Sondern um jeden Vorwand zur Delegitimierung der existierenden. Eine Blinde spricht über Farbe ...