Kommentar Bundestags-Eklat: Begrenzte Regelverletzung
Es war eher vorgespieltes Spontitum, das die Linke-Abgeordneten im Bundestag zelebrierten. Merkwürdig, dass darüber nun mehr diskutiert wird als über den Afghanistaneinsatz.
Für einen kurzen Moment warfen die Grünen am Freitag einen Blick in die eigene Vergangenheit. Während der Bundestagsdebatte über das erweiterte Afghanistanmandat setzten sich Abgeordnete der Linken über die parlamentarischen Regularien hinweg und hielten Transparente mit den Namen der Kundus-Toten in die Höhe. Es war eine Aktion von der Art, wie sie die Grünen in ihren parlamentarischen Anfangsjahren gern praktizierten. "Begrenzte Regelverletzung" nannte man das damals.
Dass sich die Grünen über solche Rituale heute himmelhoch erhaben wähnen, haben sie ironischerweise auch der ehemaligen PDS zu verdanken. Indem sie die ostdeutschen Bürgerrechtler in ihre Reihen aufnahmen und die Exkommunisten als neue Außenseiter des politischen Systems auftraten, wandelten sich die Westgrünen ausgerechnet in ihren außerparlamentarischen Jahren zwischen 1990 und 1994 endgültig zur etablierten Partei. So ersetzte die CDU in ihrer Ausschlussklausel, die festhält, mit wem man keinesfalls koalieren könne, 1992 das Wörtchen "Grüne" durch die Abkürzung PDS.
Natürlich gibt es Unterschiede. Bedeutete der Einzug der Grünen 1983 eine echte Innovation des parlamentarischen Betriebs, so sitzen die Linken und ihre PDS-Vorgänger schon seit zwanzig Jahren im Bundestag. Auch hatten die Grünen seinerzeit, bevor sie Transparente in die Luft hielten, nicht zuvor im Parlamentspräsidium die Einhaltung parlamentarischer Regularien zugesichert.
Es ist eher ein vorgespieltes Spontitum, das die Abgeordneten der Linken am Freitag zelebrierten. Der Parlamentarismus gerät dadurch nicht in Gefahr, auch wenn der Ausschluss durch den Präsidenten die Publizität der Aktion gewaltig gesteigert hat. Merkwürdig vor allem, dass über den Ablauf der Sitzung nun mehr diskutiert wird als über den Afghanistaneinsatz selbst.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?