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Kommentar Büchergeld für reiche StudisWer hat, kriegt mehr

Kommentar von Julia Friedrichs

Die Stipendiaten der großen Stiftungen sollen in Zukunft 300 statt 80 Euro Büchergeld im Monat erhalten: Ein schwarz-gelbes Regierungsgeschenk für die eigene Klientel.

J ana Kmetsch aus Wattenscheid möchte, dass ihre drei Kinder sich bilden. Geld ist hierfür in ihrem Hartz-IV-Satz aber kaum vorgesehen. Deshalb durchwühlt sie das Angebot eines sozialen Warenhauses, um etwas zu finden, das ihren Kindern das Lernen erleichtert.

Ein Schreibtisch wäre gut, damit ihre Tochter nicht die Hausaufgaben am Küchentisch erledigen muss. Aber der ist heute nicht im Angebot. Sie kauft ein gebrauchtes Kartenspiel. Für zwei Euro. Für Jana Kmetsch und ihre drei Kinder ist Bildung immer eine Frage des Geldes.

Gestern hat die Bundesregierung beschlossen, in Zukunft einigen jungen Menschen 220 Euro im Monat zu schenken, damit sie sich mehr Bücher kaufen können. Die Kinder von Jana Kmetsch werden von diesem Geschenk wohl nicht profitieren. Obwohl sie es sind, die am ehesten Hilfe bräuchten.

Julia Friedrichs

(30) ist Autorin des Buches "Gestatten: Elite - Auf den Spuren der Mächtigen von morgen".

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Denn die Bundesregierung beschränkt ihre Großzügigkeit vorerst auf eine ganz exklusive Gruppe: Die Stipendiaten der großen Stiftungen sollen in Zukunft statt 80 Euro 300 Euro Büchergeld im Monat erhalten. Dies ist ein Geschenk, das vor allem die beglückt, mit denen es das Leben ohnehin schon gut meinte.

Die Stipendiaten von Stiftungen sind Teil einer geschlossenen, sozial sehr ähnlichen Elite. Weniger als zehn Prozent kommen aus Familien, in denen Geld und gute Bildung knapp sind. Den anderen hat es an beidem nicht gemangelt.

Über die Hälfte kommt sogar aus wohlhabendem Hause. Unabhängig von der eigenen Leistung haben sie bessere Chancen, aufs Gymnasium zu kommen. Sie haben das richtige Auftreten in Auswahlgesprächen. Sie haben Kontakte, die den Weg nach oben ebnen.

Gestern hat die Bundesregierung auf die vielen Geschenke, die das Leben diesen Kindern schon gemacht hat, noch ein weiteres gehäuft. Das ist unfair all denen gegenüber, die Geld für Bildung tatsächlich nötig hätten.

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9 Kommentare

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  • LL
    Lucia Linde

    Ich könnte heulen wenn ich daran denke, wie sehr die soziale Herkunft in unserem Land, selbst in akademischen Kreisen ein Rolle spielt

  • P
    pablo

    weiß jemand von euch, wann die büchergelderhöhung denn wirklich stattfinden soll?

    ich muss nämlich leider sagen, dass ich die diskussion hier zu eindimensional und unfair finde. ich bekomme nur büchergeld, könnte aber gut mehr geld gebrauchen. ansonsten muss ich arbeiten. meine eltern sind nach bafög-berechnungen angeblich reich genug, um mir genügend unterhalt zu zahlen. leider sind die grenzen des reichtums aber genauso fließend, wie alle anderen...und längst nicht alle akademiker haben ausreichend geld, um ihre kinder durchs studium zu füttern.

    die einzige zulässige kritik, besteht darin zu beanstanden, dass die bafög-sätze nicht genauso stark angehoben werden. elternunabhängige finanzielle unterstützung ist nämlich eigentlich der richtige schritt, nur an der ausführung haperts...

  • HG
    Hjalmar Greb

    Ein weiterer Schwertschlag in die schon weit aufgerissene, brökelnde Kluft zwischen Arm und Reich.

    Ich selber bin grade einmal 17 Jahre alt, habe vor zu studieren, werde mir das Geld fürs Studium (Studiengebühren, Lehrmittel, eigene Wohnung) wohl selber durch jobben finanzieren müssen. wie ich das alles mit einem Basisjob bewältigen soll ist mir bis heute ein Rätsel geblieben. Da fällt mir ein: mit Bafög land ich grade am Rande der Armutsgrenze. Dafür das ich Deutschlands Zukunft bin klingt das allerdings etwas heuchlerisch. Aber was beschwer ich mich, wir leben ja immerhin im Land der gleichen Chancen, wo jeder alles machen kann was er für richtig hält. Wenn er die finanziellen Mittel dazu hat.

    Soweit von mir,

     

    Hjalmar Greb

  • VP
    Volker Paul

    Für diejenigen, die es noch nicht wissen sollten:

    Stipendien werden nach Leistung in Schule und Uni vergeben,

    nicht nach Bedürftigkeit.

     

    Wem es übrigens an Material für die Bildung mangelt,

    der sollte sich mal in eine öffentliche Bücherei setzen.

    Dort gibt es Platz, Licht, Wärme, Ruhe und natürlich

    massenhaft Lesestoff für die Bildung. Alles völlig umsonst.

  • AS
    Armer Studi

    Sehr einseitiger Kommentar, der völlig außer acht lässt, dass die Regierung auch die Bafög-Sätze (erneut) anhebt und die Einkommensgrenzen für Bafög-Zuschuss erhöht. Damit wird genau die Klientel bedient, der im Artikel chancenungerechtigkeit attestiert wird. Das wahre Problem ist doch, dass leider gebildete Eltern einen viel stärkere Sinn für die Wichtigkeit und eine bessere Fähigkeit zur Vermittlung von Bildung an ihre Nachkommen haben. Da müsste viel stärker vom Staat den Menschen geholfen werden, die sich selbst nicht helfen können. Mehr Geld aufs Konto ist ein einfacher Lösungsansatz, aber damit wird das Problem sich nicht in Luft auflösen.

    Desweiteren finde ich es bedenklich, wie im Kommentar suggeriert wird, "Reiche" wären ausschließlich durch ein glücklicheres Schicksal im finanziellen Vorteil. Damit unterminiert man die Leistung zahlloser (Bildungs-)Aufsteiger die durch harte Arbeit und Fleiß Erfolge erzielt haben. Man mag diesen Lebensstil kritisch sehen und ihn für sich ablehnen, aber der Staat sollte nicht durch "sinnlose" Umverteilung dafür sorgen, dass die Menschen von ihrer Mühe nichts haben und stattdessen mehr in Bildungseinrichtungen, Ganztagsschulen, frühkindliche Förderung etc. investieren.

     

    Auch wenn das jetzt alles mehr nach FDP klingt als ich erwartet hätte. Aber auch die können mal Recht haben ;-)

  • B
    butokah

    Julia Friedrichs bringt es auf den Punkt!

    Wenn wir dieses Ungleichgewicht nicht in den Griff bekommen, dann kann sich das "Soziale" in unserer Gesellschaft ganz verabschieden. Hamburg zeigt es deutlich wohin geschlossene und von sich überzeugte Eliten steuern: Klassenkampf von oben, die vor bezahlter Stimmungsmache und dem schamlosen Ausnutzen ihrer ökonomischen Potenzia nicht halt machen, Stimmen kaufen, um in ihrem "Standesdünkel" unter sich zu bleiben. Das reicht aber nicht, die Wissenschaft, Politik, Wirtschaft hat die Geister der Elitenförderung/so called Leistungsträger gerufen und alle haben zugeschaut. Nichts aus der Geschichte gelernt, Wirtschaftskrise, Auseinanderklaffen der Milieus, Sozialdarwinismus, zunehmender Fundamentalismus, ein Obrigkeitshöriges Bürgertum ...na wann war das wohl?

    Eine historische Vogelperspektive würde hier gut tun, denn wenn Geschichte zyklisch verläuft, dann graust es mir!

  • S
    Sascha

    tja, so ist das leider, und ein ende ist nicht in sicht ...

  • BM
    Bernd Marnet

    Die Artikelüberschrift fasst die gesamte schwarz-gelbe Politik prägnant zusammen. Das das Wort von der "Bildungsrepublik Deutschland" nicht nur ein banal-rhetorischer Irrläufer, sondern gezielte Klientelpolitik ist, verwundert nicht. Fassungslos aber steht man vor der Schamlosigkeit, mit der dieses Zubrot für die Oligarchie noch als Bildungsförderung verpackt werden soll. Das dieses letztlich erfolgreich sein wird, macht noch fassungsloser.

  • BN
    Beneide niemanden mit Stipendium

    Fast alle Stipendien von denen ich so mitbekommen habe, werden erst ab der Doktorarbeit vergeben. Und die meisten Stipendiaten bekommen weniger Geld pro Monat, als ein BAT IIa/2-Angestellter (normales Doktorandengehalt, ca. 1150 Euro).

     

    Versicherungen müssen als Stipendiat selbst bezahlt werden, ein Zusatzeinkommen ist häufig nicht erlaubt und in die Rentenkasse kann man auch nichts in dieser Zeit einzahlen (im Ggs. zu den BAT IIa/2-Angestellten).

     

    Zudem muss man häufig Rechenschaft über seine Arbeit ablegen, was Zeit und Nerven kostet.

     

    Ich selbst hätte auf mein Stipendium gut verzichten können.. ich war froh als es auslief und ich BAT IIa/2 bekam..

     

     

    Btw., in den Naturwissenschaften sind übrigens fast keine Studenten aus "reichen" Elternhäusern. Studenten aus Nicht-Akademiker-Elternhäusern sind dort sogar die Regel!