Kommentar Bleiberecht: Gefangen in der Zeitschleife
Wenn es auch die neue Regierung nicht schafft, das Bleiberecht für Flüchtlinge zu ändern, werden weiter Zehntausende mit der Angst leben, plötzlich abgeschoben zu werden.
W er die Debatte um die Bleiberechtsregelung für langjährig Geduldete verfolgt, den kann das Gefühl beschleichen, in einer Zeitschleife gefangen zu sein. Seit Jahrzehnten wird immer wieder eine Perspektive für jene Flüchtlinge eingeklagt, deren Asylantrag abgelehnt worden ist, die aber - vielfach aus humanitären Gründen - nicht abgeschoben werden können. Und am Ende kommt herzlich wenig raus.
Die große Koalition wollte eine Lösung gefunden haben. Ein großer Teil der Betroffenen, so hieß es, bekomme die Chance auf ein sicheres Bleiberecht und eine Perspektive für ein Leben in Deutschland. Die SPD ließ sich damit sogar die Zustimmung zu Schäubles Verschärfungen des Zuwanderungsgesetzes abkaufen.
Erste Zahlen aus dem Innenministerium zeigen aber nun, was Experten seit Langem befürchten: Die Bleiberechtsregelung ist gescheitert. Nur ein kleiner Teil der Flüchtlinge profitiert davon. Viele werden weiter mit Arbeitsverboten, verringerten Hartz-IV-Sätzen und der Unsicherheit leben müssen, dass vielleicht in weiteren zehn Jahren eine Abschiebung droht. Wahrscheinlich ist, dass die Flüchtlinge bleiben. Eine wirkliche Perspektive in Deutschland aber haben sie nicht.
Sabine am Orde ist Redakteurin im Inlands-Ressort der taz.
Dennoch weigert sich die Koalition standhaft, die Bleiberechtsregelung zu reformieren - oder zumindest die Frist zu verlängern, bis zu der die Flüchtlinge alle Kriterien erfüllen müssen. Das würde den mehr als zehntausend Menschen helfen, die derzeit wegen eines einzigen Kriteriums durchfallen: Sie können ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten. Das war von Anfang an schwer; dass die Wirtschaftskrise hinzukommt, war nicht absehbar.
Mit Politik für Flüchtlinge wollen Union und SPD keinen Wahlkampf machen. Doch wenn sich auch die neue Regierung nach der Bundestagswahl nicht besinnt, droht eine neue Runde in der Zeitschleife - zulasten der Flüchtlinge und ihrer Integration.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“