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Kommentar BGH-Urteil PflegekostenFreibrief für Elternversagen

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Das Urteil zum Elternunterhalt ist skandalös, weil es rein biologistisch argumentiert. Die heute gelebte familiäre Vielfalt lässt es unberücksichtigt.

Das BGH glaubt an Blutsbande. Und vermutlich auch an den Storch. Bild: Imago/Blickwinkel

E mma Thompsons Mutter muss sich nicht fürchten. Jeden Abend wird die 81-Jährige im Wohnzimmer ihrer Tochter willkommen geheißen und kann damit rechnen, von der britischen Schauspielerin umsorgt zu werden, falls sie betreut werden müsste – vor allem finanziell.

Genau so wünscht sich das offensichtlich auch der Bundesgerichtshof laut seinem jüngsten Urteil: Kinder müssen in jedem Fall für die Pflege ihrer Eltern aufkommen. Selbst dann, wenn Mutter und Vater den Kontakt zum Kind abgebrochen haben.

Eine fatale, rein biologistische Argumentation: Demnach ist Familie gleich Blutsbande und hat füreinander da zu sein – Zusammenhalt hin oder her.

Was folgt daraus? Eltern dürfen machen, was sie wollen, selbst auf ganzer Linie versagen. Später, wenn die Kinder erwachsen sind, dürfen sich Mutter und Vater den Sorgen und Nöten ihrer Kinder entziehen. Kein Problem, denn wenn es hart auf hart kommt, im eigenen Pflegefall zum Beispiel, haben sie ja das Recht, ihre sonst vergessenen Kinder herbeizuzitieren – und für sich zahlen zu lassen.

Das Urteil lässt auch die heute gelebte familiäre Vielfalt unberücksichtigt: Patchworkfamilien, Mehrfachehen, unverheiratete Paare mit Kindern. Demnächst dürfte es nicht wenige Kinder geben, die qua Gesetz für ihre biologischen Eltern aufkommen müssen. Und zusätzlich für soziale (und freiwillig gewählte) Angehörige. Sieht so der oft und gern bemühte Generationenvertrag aus?

Politisch ist das Urteil erst recht skandalös. Pflege ist seit Jahrzehnten das Stiefkind der Politik, wichtigstes Stichwort: chronische Unterfinanzierung. Jetzt wird hier also verfahren wie bei der Bankenrettung: Politische Fehlentscheidungen trägt die Gemeinschaft. Mit dem großen Unterschied, dass bei der Pflege die Gemeinschaft mitunter sehr klein ist.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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18 Kommentare

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  • F
    fraubert

    Da wär die FDP nie drauf gekommen

  • V
    Verleihnix

    Machen Sie es sich nicht etwas zu einfach, Frau Schmollack?

    Der abgewiesene Kläger hatten offensichtlich keinerlei Probleme damit, sein Pflichtteil-Erbe anzunehmen (außer daß es ihm dem Vernehmen nach zu niedrig war). Wir können uns aber nicht immer die Rosinen rauspicken. Mein biologischer Vater kann mich nicht enterben, weil ich schwul bin oder so und ich kann die Übernahme von Pflegekosten nicht ablehnen, weil er mir als Kind vielleicht zu wenig beim Malen geholfen hat. Das alles hat nichts mit neuen Lebensentwürfen, Patchwork, Scheidung usw. zu tun. Wollen Sie eine Gesellschaft von Erben, die sich aus der Verantwortung für die Pflege stiehlt, wenn's mal gerade paßt? Kann es auczh nicht sein.

  • LK
    Lenny K.

    Warum können wir das ganze Thema Unterhalt in Deutschland nicht so lösen wie andere Staaten? Ab 18 ist jeder für sich selbst verantwortlich. Fertig aus. Anstatt von Kindergeld für die Eltern gibt es dann künftigt für Ü-18-Kinder einen eigenen Anspruch auf elternunabhängiges BAföG bis zum Abschluss der Ausbildung. Alles andere ist Quatsch und widerspricht der Lebenswirklichkeit. Zum Thema Elternunterhalt kommt das Problem hinzu, dass Kinder ja nun mal leider gar keinen Einfluss auf ihre Eltern haben: Wenn der Vater sein Vermögen versäuft und teure Urlaube macht, haben die Kinder keine Möglichkeit, das zu unterbinden. Bezahlen müssen sie hinterher trotzdem. Das kann nich sein.

  • G
    gela

    Wenn es ungerecht ist, dass Kinder wegen eines Zerwürfnisses zahlen müssen, was bedeutet das im Umkehrschluss? Sollen also nur die zahlen, die sich mit ihren Angehörigen gut verstehen? Bislang entlasten die Angehörigen (vor allem Frauen)durch gratispflege und -betreuung die, die sich garnicht kümmern. Die Belohnung ist Verzicht auf eigenes EInkommen und ALtersversorgung, und gefragt, wiegut sie mit Mama oder Papa klar kommen, interessiert da auch keinen.

    • G
      gast
      @gela:

      Sehe ich genauso. Je verantwortlicher man mit Ehepartnern, Kindern und alten Angehörigen umgeht, desto weniger bekommt man vom Staat, ganz im Gegenteil man wird bestraft und am Ende als Heimchen oder Looser verhöhnt.

      Dies ist klar eine Kultur, die Scheitern im Privaten und Egoismus belohnt.

      Viele Alte und Junge verzichten auf Unterstützung ihrer Angehörigen aus Scham, ander mogeln sich aus jeder Verantwortung heraus.

      Und gerade jene, welche sich kümmern, dadurch vielleicht den Anschluß an die "Arbeits"-Welt verlieren, werden anschließend durch Blockwarte der Harz-4-Verwaltung gedemütigt oder müßen im Alter aufstocken.

      Verrückt, irgendwas ist da verrückt.

  • L
    Lars

    Was wäre denn die Alternative zum familienabhängigen Unterhalt? Zahlung der Allgemeinheit, sprich des Steuerzahlers? Dazu dürfte die Mehrheit nicht bereit sein. Oder verhungern lassen?

  • P
    Petra

    Leider finde ich den dargestellten Kommentar sehr polemisch. Wie ich der Presse entnehmen konnte, kam das Zerwürfnis zwischen Vater und Sohn erst nach der Volljährigkeit zustande und genau aus diesem Grund begründete die Richterin die Zahlungsverpflichtung. Der Vater habe sich bis zur Volljährigkeit (und das ist die Hauptaufgabe der Eltern) gekümmert. Ich fände es wichtig, Urteile doch differenzierter zu lesen und nicht alles über einen Kamm zu scheren. Denn es gibt auch bereits Urteile in anderen Fällen, wo genau die Kostenübernahmeverpflichtung abgelehnt wurde, da sich Eltenteile um die KINDER (also bis 18) nicht gekümmert oder sogar selbige mißhandelt haben.

    • @Petra:

      hat sich bestimmt geil 'gekümmert', bevor er sich dann auf Nimmerwiedersehen verdrückt hat.

      Und der Richter kann auch so einfach beweisen, dass der werte Herr seinen elterlichen Pflichten nachgekommen ist, jaja...

  • Komisch, wenn´s ums Zahlen geht, steht die biologische Elternschaft wieder hoch im Kurs.

  • L
    Lowandorder

    Grade ergänze ich bei einem white-flag-Anruf eines 30plusKid die taz- Überschrift "…Vater sein verjährt auch nicht…"

     

    & Frau Schmollack reduziert's für mich auf:

    "…jedenfalls war er mein Vater…"

    ( ok - mater certa est;-))

     

    aber mal ehrlich gefragt:

    der Sohn, der seinen VaterZahnarzt wg Studium-Patte - erfolgreich - verklagt; - soll heute nicht mehr gelten?

     

    ( nur mal so:

    Verträge - sind zweiseitige!! Rechtsgeschäfte)

     

    trägt das echt:

    komplexe Lebensverhältnisse/

    ( der MitschülerVater s.o. lebte von Mutter&Kinder

    - nunja getrennt)

    Versagen der Eltern/der Staat, d.h. der Steuerzahler soll's richten!?¿

    sonst:

    =>Freibrief für Versagen der Eltern?¿

     

    sind Nachfragen erlaubt?

    is das -

    "Freibrief für Versagen der Eltern" nicht ganz schön - asozial;?

    Notlagen entstehen ja meist nur im Kopf Nichtgutwilliger so monokausal!

     

    und - das ganze (Alter/Pflege etc)

    - noch mehr -

    aus dem familiärem Zusammenhang lösen - ?¿

     

    ok - das kann frauman fordern,

    aber erst gilt nun mal das geschriebene Recht;

    das mag gefallen oder nicht;

     

    aber - wenig gefällt solches

    hier - mit Verlaub - wenig Durchdachtes.

    • X
      XHQ8N-C3MCJJ-RQXB6-WCHYG-C9WKB
      @Lowandorder:

      Markus Lanz: „Verstehe.“

  • 1.Manche Journalisten muss man daran erinnern, dass sich Gerichte in Deutschland an Recht und Gesetz halten müssen. Die materielle Rechtsgrundlage für das Urteil ist das Bürgerliche Gesetzbuch. Wenn also etwas skandalös ist, dann die darin enthaltene, aber demokratische legitimierte Gesetze.

     

    2.Das Argumenten der Journalistin, "Eine fatale, rein biologistische Argumentation: Demnach ist Familie gleich Blutsbande und hat füreinander da zu sein – Zusammenhalt hin oder her" ist auch falsch. Das Eltern-Kind-Verhältnis kann auch durch Anerkennung (der Vaterschaft) oder beispielsweise Adoption entstehen, was nun wirklich nichts zu tun hat mit "Blutsbande".

     

    3. Außerdem "Zusammenhalt hin oder her": Meint denn die Autorin, das Gericht müsste in jedem Fall, bevor es über Unterhaltsansprüche urteilt, nachprüfen, ob es im Einzelfall in einer Beziehung Zusammenhalt gibt oder nicht?! Das würde doch wahrlich niemanden ernsthaft wollen, dass Gerichte über die Qualität des familiären Zusammenhaltes entscheiden müssten (Liebesfaktor 1-10?), bevor sie über Unterhalt urteilen.

     

    4.Wonach soll sich denn ein Gericht richten, wenn nicht nach Recht und Gesetz?

    Bei der TAZ-Redaktion anrufen und um Rat fragen?

     

    5. Skandalös finde ich eigentlich das Niveau dieses Artikels.

    • P
      PeterWolf
      @mangalica:

      Völlig unabhängig davon, wie eng die Familienbande waren oder sind.

      Wirklich skandalös sind die sogenannten "Freibeträge", wegen derer ja angeblich kein Angehöriger in "Armut" fallen würde.

      Faktisch bleibt da kaum mehr als der Hartz IV Satz übrig . (Für die, die rechnen können und nicht meinen, 345 Euro pro Monat wären bereits alles)

      Außer, der zu Pflegende war höherer Beamter oder ist seine Witwe.

      Dann reicht die Pension und die Beihilfe.

      Wie bei Richtern.

    • A
      ama.dablam
      @mangalica:

      Sie hat das Urteil nicht gelesen - bislang gibt es nur die Presseinformation. Aber die hat sie auch nicht verstanden.

      • M
        Michael
        @ama.dablam:

        Ich finde das ziemlich ungerecht, wie Sie hier an der Autorin herumkritteln. Wenn Sie sich über die genauere Bestimmung der Adoption bemühen, gerade wenn es um die Herkunftsfamilie und das Wohl des Kindes geht, dürfte klar werden, dass die biologische Abstammung in der Tat hiernach ein besonderes Rechtsverhältnis begründe, das dem der Adoption nicht in allen Punkten entspricht.

         

        Letztlich ist das aber ohnehin kein Grund die berechtigte Feststellung eines gesellschaftlichen Problems in naher Zukunft als asozial anzukreiden.

         

        Es gibt Gründe bereits allgemeingesellschaftlich den Generationenvertrag als gescheitert anzusehen. Eine junge Generation, die beruflich und vielleicht auch "familiär" (neue Rechtsverhältnisse schaffend) mit mindestens knapper Mehrheit erfolglos bleibt, wird allein deshalb schon Probleme mit Pflege bekommen.

        Zugleich könnte die Ehe-Familie zum Exoten werden. Es muss nicht unbedingt soweit kommen, dass die Mehrheit aus Singles bzw. Alleinerziehenden besteht, aber auch dieser Faktor könnte die Pflege erschweren. Denn schließlich konzentrieren sich viele der jungen Menschen in den Ballungsräumen mit Arbeit (gut wie - vermutlich mehrheitlich - schlecht bezahlte). Die Pflegekandidaten-Eltern leben also in vielen (eben auch vielen prekären) Fällen weit weg auf dem Land.

        Nun addiere man noch ein schlechtes Verhältnis. Oder gar einen nicht mehr nachweisbaren Missbrauch.

        • A
          ama.dablam
          @Michael:

          Das klingt ja durchaus plausibel, was sie schreiben, nur: der BGH hat geltendes Recht anzuwenden, nicht mehr.

           

          Deswegen hat er sich nicht vorwerfen zu lassen, er "glaube an Blutsbande" oder wie auch immer das Gericht verunglimpft werden soll. Darum ging es Mangalica, und damit hat er Recht.

           

          Im Übrigen empfehle ich wirklich, das Urteil zu lesen. wie man aber schon der Pressemitteilung entnehmen kann, war es dem BGH wichtig darauf hinzuweisen, dass der Verstorbene sich bis zur Volljährigkeit des Sohnes um diesen gekümmert hatte.

        • @Michael:

          des is a gute Idee.

          Ich glaub ich lass meine Eltern ein Geständnis aufsetzen, dass se mich missbraucht ham wie ich klein war. Wenn se dann, Gott bewahre, gegangen sind, kram ich das so zufällig raus und bin aus'm Schneider

  • F
    Faustrecht

    Hauptsache die Gemeinden werden entlastet. Ob's gerecht ist, wen juckt's?