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Kommentar AtombeschlussKräftig feiern, langen Atem behalten

Reiner Metzger
Kommentar von Reiner Metzger

Acht AKWs werden stillgelegt, für immer. Das ist ein großer Etappensieg der Antiatomkraftbewegung. Vor einem Jahr war daran noch nicht zu denken.

W arum feiert niemand in Deutschland den Atombeschluss der Bundesregierung? Die Schlagzeilen weltweit verkünden ihn, nur hier im Land selbst weiß keiner so recht etwas damit anzufangen.

Fassen wir zusammen: Neun Atomkraftwerke werden noch zehn oder elf Jahre weiterlaufen, aber acht für immer stillgelegt. Keine einzige Partei will später aussteigen, einige früher. Die Endlagersuche wird neu aufgerollt, also ebenfalls parteiübergreifend die Festlegung auf den ungeeigneten Standort im Wendland aufgegeben.

Eine schwarz-gelbe Regierung arbeitet ein Schnellprogramm zur Energiewende aus. Eigentlich irre, oder?

Natürlich fehlen noch die entsprechenden Gesetze und damit die so wichtigen Details. Natürlich wäre es besser gewesen, Union und FDP hätten schneller abgeschaltet. Aber die Wende, die Merkel und ihrer Regierung aufgezwungen wurde, konnte politisch nicht brutaler ausfallen.

Bild: taz

REINER METZGER ist stellvertretender Chefredakteur der taz.

Noch vor einem halben Jahr sollten nach einem Merkelschen Machtwort die Meiler bis weit nach 2030 laufen, nun ist die Hälfte davon vom Netz.

Das ist ein riesiger Sieg der Antiatombewegung. Sie hat mit großer Zähigkeit die Alternativen gefördert und die Diskussion wachgehalten. Nur deshalb bewegten sich nach der Katastrophe von Fukushima die Wählermassen so entschieden und zwangen Merkel die Kehrtwende auf.

Im Gegensatz zum rot-grünen Atomkonsens aus dem Jahr 2000 gibt es gar keine Opposition mehr, die den Vertrag wieder aufheben will. Natürlich werden die Atomkonzerne vor dem Laufzeitende versuchen, eine weitere Verlängerung zu ergattern. Aber der politische Preis für eine abermalige Wende wäre enorm.

Die Energiewende kann endlich in die nächste Runde gehen und bis 2020 Fakten schaffen. Jetzt, wo das Ende der Atomkraft geregelt ist, muss die Kohle weg - und ein Plan für die Reduzierung des Öl- und Gasverbrauchs her. Vor allem die Abhängigkeit vom Öl und seinen Preisschocks ist neben der Umweltschädlichkeit auch eine Gefahr für die Wirtschaft und die Sicherheit des Landes.

Das alles weiß auch die Industrie. Wie bei der Atomkraft geht es bei der weiteren Energiewende daher nicht um die Einsicht, dass sich etwas ändern muss, sondern um die Geschwindigkeit und den Mut zum Ausstieg. Die Energieaktivisten werden da noch oft gebraucht werden. Aber erst mal Glückwunsch zum Erreichten.

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Reiner Metzger
Leiter Wochenendtaz
Reiner Metzger, geboren 1964, leitet taz am Wochenende zusammen mit Felix Zimmermann. In den Bereichen Politik, Gesellschaft und Sachkunde werden die Themen der vergangenen Woche analysiert und die Themen der kommenden Woche für die Leser idealerweise so vorbereitet, dass sie schon mal wissen, was an Wichtigem auf sie zukommt. Oder einfach Liebens-, Hassens- und Bedenkenswertes gedruckt. Von 2004 bis 2014 war er in der taz-Chefredaktion.
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8 Kommentare

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  • RF
    Rosemarie Finke-Thiele

    Antwort auf die Frage, warum nicht gefeiert wird : Es gibt noch nichts zu feiern.

     

    Bis zur wirklichen Energiewende ist es noch ein weiter Weg.

    Und : Atomausstieg ist erst, wenn der letzte Meiler abgeschaltet ist und der Rückbau beginnt.

    Grüße nach Berlin: Die Anti- Atom- Bewegung arbeitet dran...

  • S
    Sirius

    Richtig irre wird es erst, wenn Grün-Rot-Rot 2021 eine Laufzeitverlängerung beschließt.

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Alle Welt sieht jetzt auf Deutschland, ob es diesem Hochtechnologieland gelingt, in absehbarer Zeit aus der Kernenergie auszusteigen und gleichzeitig Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.Wenn das gelingt, wird das Ausland dies mit Hochachtung und Respekt kommentieren. Wenn nicht, wird der deutsche Sonderweg zum Gespött aller:

    http://bit.ly/m1KlZy

  • MW
    Michael Wäser

    Es gibt diesen klassischen Moment am Ende vieler Horrorfilme, wenn das bereits besiegt geglaubte Monster sich plötzlich wieder aufbäumt oder aus dem Abgrund auftaucht, in den die potentielle nächste Beute es unter großen Opfern und Einsatz ungeheurer Anstrengung in letzter Sekunde hinab gezwungen hat. Dann erst gelingt der echte, der endgültige Todesstoß. Meistens hat die Siegesfeier in solchen Filmen schon stattgefunden, wenn dieser Moment kommt. Vermutlich hat die gegenwärtige Stimmung unter den Atomgegnern und Anti-AKW-Aktivisten genau damit zu tun. Nachher wird einfach nicht mehr gefeiert. Wenn man endlich auch noch das letzte bisschen Leben aus dem Monster rausgequetscht hat, fühlt man sich nicht mehr als Sieger. Und jetzt liegt es immer noch da und vielleicht atmet es noch, vielleicht ist es nur in einem Kryo-Schlaf, keiner will so recht glauben, dass es besiegt ist für alle Zeiten. Aus den Horrorfilmen wissen wir, dass das Monster manchmal sogar zwei - oder dreimal wiederaufersteht. Aus den Horrorfilmen wissen wir, dass es besser ist, nicht zu früh zu feiern.

  • I
    IJoe

    Die Deindustrialisierung Deutschlands schreitet voran. Das wird ein böses Erwachen geben.

  • A
    Analyst

    Dass Merkel und Schwarz-Gelb in Sachen Atomkraft so eine drastische Wende hingelegt haben, ist faktisch in erster Linie den Wählern der Grünen zu verdanken!

     

    Hätten die Grünen nicht gleich mehrfache Erdrutschsiege in Folge hingelegt, hätte Merkel und Seehofer keine panische Angst vor dem Machtverlust bekommen und hätte Schwarz-Gelb auch nicht diese Art von hektischem Aktionismus an den Tag gelegt.

     

    Das soll die hervorragende Arbeit der Bürgerbewegungen, der Aktivisten und der Antiatombewegung nicht kleinreden - aber Fakt ist: Wäre es NUR bei den Bürgerbewegungen und Aktivisten auf der Straße geblieben und hätten die Aktivisten nicht auch Aktivität an der Wahlurne gezeigt, sondern die Wahlen einfach ignorniert oder boykottiert, hätte es niemals diese 180-Grad-Wendung bei den Konservativen gegeben.

     

    So sehr die Änderung von Schwarz-Gelb zu begrüßen ist, muß man auch ganz klar sehen: Die Änderung kam nicht aus einer inneren Überzeugung heraus, sondern nur aus panischer Angst vor dem Machtverlust von Schwarz-Gelb und dass die Grünen Wahlen um Wahlen in den Ländern gewinnen würden und die CDU immer mehr ihren Status als Volkspartei verliert und in die Opposition verbannt wird. Diese Angst kam nur durch die Wahlsiege der Grünen zustande

     

    Diese Angst hätte Schwarz-Gelb aber nicht gehabt, wenn selbst hunderttausende auf den Straßen demonstriert hätten - das hätte Schwarz-Gelb und Merkel einfach ignoriert und ausgesessen oder durch neue "Anti-Terror-Gesetze" die Versammlungsfreiheit eingeschränkt und alle Demonstranten zu "Terroristen" erklärt.

     

    Nur die Wahlsiege der Grünen und der drohende Verlust der Macht hat Merkel zur Kursänderung gebracht!

  • V
    vic

    Warum ich nicht feiere? Es gibt nichts zu feiern, ich glaube kein Wort.

    Dieser Beschluss ist nicht ehrlich, nur Taktik.

    An Grünwähler ranschleimen zwecks Machterhalt, das ist das Motiv für Merkels Erleuchtung.

  • N
    Neupi

    Wir schalten also die Stromlieferanten #1(Braunkohle) #2 (Kernenergie) und #3 (Steinkohle) ab, fördern gleichzeitig den Ersatz von Benzin durch Strom, murksen außerdem durch steuerliche Vorgaben den Biodiesel ab und dann sind alle glücklich? Logik scheint nicht mehr en vogue zu sein. Wir reden hier übrigens nicht von einem Drittweltland, sondern von einer der größten Volkswirtschaften der Erde. Scheinbar ein Land mit unerschöpflichen, geradezu legendären Energieressourcen.