piwik no script img

Kommentar Arcandor-InsolvenzDie Stunde der Sparsamen

Kommentar von Nicola Liebert

Offenbar gibt es Arbeitsplätze und Arbeitsplätze: gut bezahlte für Männer, hinter denen starke Gewerkschaften stehen; und erbärmlich bezahlte für Frauen, die keine Lobby haben.

P lötzlich schlägt die Stunde der Sparsamen. Dass die Regierung Arcandor jegliche Hilfe verweigert, sei ein Gebot der Vernunft, heißt es. Zu hoch sei das Risiko für die Steuerzahler, zu gering der Nutzen für die Volkswirtschaft. Sowieso habe Missmanagement, nicht die Finanzkrise die Misere verursacht. Bei Opel war anscheinend alles ganz anders. Risiken, Missmanagement? Egal, was zählte, war der Erhalt der Arbeitsplätze - wenigstens bis nach den Bundestagswahlen im September.

Offenbar gibt es Arbeitsplätze und Arbeitsplätze: gut bezahlte für Männer, hinter denen starke Gewerkschaften stehen; und erbärmlich bezahlte für Frauen, oft in Teilzeit oder auf 400-Euro-Basis. Eine Klientel, die weder für Gewerkschaften noch für Politiker von großem Interesse ist. Sollen die Frauen doch zu Hause bleiben und ihre Männer arbeiten lassen. Das Rollenverständnis der 50er-Jahre eben.

Die Regierung hat schnell erkannt, dass die politische Rendite einer Arcandor-Rettung gering ist. Die öffentliche Meinung hat sich gedreht. Wer soll das alles bezahlen? Diese Frage bewegt nach all den kostspieligen und dubiosen Bankenrettungsaktionen die Leute. Außerdem haben wir unsere Prioritäten: Als stolze Auto-Nation dürfen wir uns die Rettung der Traditionsmarke Opel schon etwas kosten lassen. Dann aber ist Schluss. Und plötzlich fällt uns ein, dass hinter einem Konzern wie Arcandor ja reiche Kapitalisten stehen!

Die Karstadt-Mitarbeiter können sich des Mitleids der meisten Menschen sicher sein, aber davon können sie sich nichts kaufen. Den Politikern ist in dieser Situation kaum ein Vorwurf zu machen. Sie schauen lediglich dem Volk aufs Maul. Schließlich ist Wahlkampf. Und in dem spielen unterbezahlte Verkäuferinnen leider keine Rolle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • H
    Hadesnumb

    Ich stimme voll und ganz zu, dass gerade im Fall von Arcandor offenbar ein Richtungswechsel in der Politik stattgefunden hat und man jetzt auf einmal den Sparkurs einschlägt, nachdem vorher keine Milliarde zu schade war um "systemrelevanten" Banken (und Unternehmen?) zu helfen.

     

    Dennoch sehe ich dies nicht als Anlass sich über das Zulassen der Insolvenz von Arcandor zu ärgern (einem Konzern, der bekanntermaßen schon in den vergangenen Jahren sehr schlecht aussah und ganz offensichtlich früher oder später pleite gehen musste). Die Frage ist nicht "warum gerade jetzt" diese Trendwende einsetzt, sondern "warum ERST jetzt". Ärgern kann und sollte man sich stattdesesn weiterhin und gerade deshalb noch viel mehr über die Staatshilfen für Autobauer (für alle, wohlgemerkt - siehe Abwrackprämie), die sich mit einer jahrelangen völlig absurden Modellpolitik und durch bedingungslose Konservativität ganz allein in die Bredouille gebracht haben, und natürlich noch 100 mal mehr über die Billionen-Bürgschaften für die Großbanken.

     

    Für den einzelnen Beschäftigten ist die Insolvenz seines Arbeitgebers natürlich schlimm. Trotzdem darf man das eigentliche Übel nicht aus den Augen verlieren und sollte sich lieber für Ursachenbekämpfung einsetzen und aussprechen statt - wie die Politik - sich mit den immer viel bequemeren Symptomen zu beschäftigen.

  • T
    Tigerlilly

    Von Frau zu Frau: sorry, Frau Liebert,aber ihre These ist mir doch zu unreflektiert und zu banal.

  • A
    Amos

    Schließlich kommt es ja auch darauf an, in welchen Unternehmen die Politiker ihre sogenannten

    Beraterpöstchen inne haben-, oder in welchen Vorständen sie sind. "Dessen Sahnetörtchen ich esse,

    dessen Lied sing ich zuerst".- Notgedrungen eine Garantie für die Banken, damit sie weiter Kredite

    an Unternehmen geben sollen-, und was machen die Banken-, sie warten erst mal bis sie ihr verzocktes Geld

    wieder zusammen haben. Der Steuerzahler bürgt für die schlechte Bankpolitik, an der ja auch die Schröderregierung ihren Anteil hat. Mit Casino-

    Mentalität schneller die Staatsschulden abbauen zu wollen,dazu gehört schon verdammt viel Gottvertrauen. Die Leidtragenden sind jetzt wieder die einfachen Menschen-, ohne die ja eigentlich gar nichts mehr laufen würde. Dazu kommt noch das die Unternehmer nur eins im Sinn haben, nämlich ihr Privatvermögen zu sichern und

    die Last dem Staat aufbürden wollen. Gewinne kassiert man-, die Verluste tragen die anderen.

    Wenn die Aktionäre die Gewinne machen, warum tragen die nicht auch die Verluste?