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Kommentar ArbeitsmarktDer verwundbare Westen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

1,1 Millionen Menschen befinden sich in Kurzarbeit. Was geschieht, wenn dieses Instrument erschöpft ist, bleibt vorerst offen.

Bild: taz

Barbara Dribbusch ist Sozialredakteurin der taz.

Der Jobmarkt befindet sich derzeit in einem Zwischenzustand: Die Arbeitslosenzahl für Mai stieg saisonbereinigt kaum an, aber 1,1 Millionen Menschen befinden sich in Kurzarbeit - und die Frage stellt sich: Was geschieht, wenn dieses Instrument erschöpft ist?

Es gibt Anzeichen, dass ganz neue Verwundbarkeiten zutage treten werden, wenn die Auswirkungen der Wirtschaftskrise deutlicher sichtbar werden. Bekanntlich leidet die exportabhängige Industrie in Süd- und Westdeutschland besonders. Die Arbeitslosenzahlen sind in Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz gestiegen, in den neuen Bundesländern aber gesunken - eine bemerkenswerte Entwicklung, die den traditionell mit der Opferrolle behafteten Osten in freundlicherem Licht erscheinen lässt.

Doch im Westen muss man differenzieren: In den Städten Süddeutschlands, in denen es Dienstleistungen und somit Jobalternativen gibt, werden die Menschen im Falle der Arbeitslosigkeit bessere Chancen haben, wieder auf die Beine zu kommen. Die Erwerbstätigen der Industrieregionen in Nordrhein-Westfalen hingegen, wo die Bevölkerung ärmer und der Servicebereich schmaler ist, haben es schwer, wenn die exportabhängigen Firmen vor Ort schließen. Dies sagen Experten der Bundesarbeitsagentur voraus. In ländlichen Gebieten, wo es noch nie eine florierende exportierende Industrie gab, dürfte sich das Gefühl neuer Verwundbarkeit hingegen in Grenzen halten.

Dabei geht es nicht um absoluten Wohlstand, der im Westen höher ist als im Osten, sondern um die subjektive Erfahrung von Verlust und Abstieg. Was die Verteilung dieser Opferrollen betrifft, wird in Deutschland derzeit ein neues Stück vorbereitet. Aber solange mehr als eine Million Menschen in Kurzarbeit sind, ist der Vorhang dafür noch nicht aufgegangen. Es bleibt also zunächst offen, was sich aus diesem Zwischenzustand entwickelt.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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