Kommentar Ampel-Diskussion: Emanzipation von Westerwelle
In der Debatte über eine Ampelkoalition in NRW liegt eine Chance für die FDP. Die angeblich privilegierte Partnerschaft zur Union ist den Liberalen zur Fessel geworden.
Eigentlich spricht in Nordrhein-Westfalen kaum etwas für eine Koalition der FDP mit dem Duo SPD und Grüne. Die Freidemokraten haben Kampagnen gegen die "Verspargelung der Landschaft" durch Windräder gefahren, Studiengebühren eingeführt und gegen den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs gewettert. Die FDP-Wähler sind mehrheitlich Männer und Landbewohner, die der Grünen überwiegend Frauen und Städter. Mentalitäten und Politikinhalte könnten unterschiedlicher kaum sein. Trotzdem liegt in der Debatte über eine Ampelkoalition eine Chance.
Nordrhein-Westfalen, das in seiner Vielfalt eine Art Durchschnitt der deutschen Gesamtbevölkerung darstellt, hat mehrmals Koalitionen auf Bundesebene vorweggenommen: 1995 Rot-Grün, 2005 Schwarz-Gelb. Selbst wenn es 2010 nicht zu einer Ampelkoalition kommen sollte, böte sich für die Parteien die Gelegenheit, die Tragfähigkeit dieses neuen Bündnisses zumindest auszuloten.
Allen voran gilt dies für die FDP. Derzeit wird offenkundig, was ihre einseitige Bindung an die Union anrichtet: Sie muss im Bund hinnehmen, dass die Kanzlerin das zentrale FDP-Versprechen der Steuersenkungen mit wenigen Sätzen abräumt. Die angeblich privilegierte Partnerschaft ist der FDP zur Fessel geworden.
Der Partei bietet sich in der größten Krise der vergangenen Jahre zugleich eine große Chance: Nur Tage nach ihrer Wahlniederlage kann sie beweisen, dass sie sich SPD und Grünen zumindest anzunähern vermag. Das ist nicht leicht: Die FDP muss dafür das Kunststück der Grünen wiederholen, denen es gelungen ist, ihre vielfarbigen Koalitionen als "Kurs der Eigenständigkeit" zu verkaufen, nicht als Beliebigkeit. Dazu gehört Fingerspitzengefühl. Guido Westerwelle fehlt es.
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