Kommentar Alice Schwarzer: Befreit euch endlich!

Alice Schwarzer bleibt bis heute wichtig und einzigartig. Sie marschiert in der ersten Reihe, weil sie Aufmerksamkeit mag und aus Überzeugung handelt.

Es gibt wenige Menschen, zu denen jedeR eine so dezidierte Meinung hat wie zu Alice Schwarzer. Außer vielleicht zum Fußballbundestrainer. Und hier gibt es ja immer einen sehr realen Grund, warum das Volk gerade vergötternd liebt oder abgrundtief hasst: das Spielergebnis.

Bei Schwarzer sind die Gefühle ähnlich aufgeladen, der Begründungszusammenhang aber viel komplizierter. Denn das Ergebnis würde ja eindeutig für sie sprechen: Alice Schwarzer hat den Befreiungskampf der Frauen sehr erfolgreich vorangetrieben. Niemand kann sich den Anspruch erwerben, geliebt zu werden, aber Respekt, den hat Schwarzer sich mit ihrem Lebenswerk verdient.

Dass vielen eine sachliche Begegnung mit dem Werk und Wirken dieser außergewöhnlichen Deutschen, die heute ihren 70. Geburtstag feiert, dennoch nicht möglich ist, sagt in erster Linie etwas aus über jene, die sie bis heute missbrauchen, um sich in zynischer Abgrenzung von ihr zu behaupten.

Anfeindungen über Jahrzehnte

Dabei ist Alice Schwarzer geprägt von ihrem Weg. Und nur gewisse Persönlichkeiten halten Anfeindungen, wie sie sie Jahrzehnte hat über sich ergehen lassen, überhaupt aus. Sie wurde als männerhassende Oberlesbe diffamiert, war der Fels in der Brandung in Zeiten, als Feministin tatsächlich noch ein ernst gemeintes Schimpfwort war. Sie ist in der ersten Reihe marschiert, weil sie die Aufmerksamkeit mag. Sie ist aber auch weitergegangen, weil sie aus Überzeugung handelt und daran glaubt, dass es wichtig ist, was sie tut.

Seit Jahrzehnten vertritt sie zu allem, was irgendwie mit Frauen zu tun hat, eine klare Position: ob Porno, Abtreibung, Kopftuchtragen, Vergewaltigung, Arbeit, Leben, Sterben. Alice Schwarzer weiß, was gut ist für die Frau und was schlecht. Andersdenkende fühlen sich mithin zu Recht nicht angemessen wahrgenommen. Wer ein so langes politisch so aktives Leben gelebt hat, bei dem können Fehler nicht ausbleiben.

Dabei bleibt Alice Schwarzer bis heute wichtig und einzigartig. Gerade in ihrer Eindeutigkeit, die nervt und manches Mal zu kurz springt. Die aber eine klare Perspektive einnimmt und kein bisschen an Kampfeswillen eingebüßt hat. Wer nun Alice Schwarzer eine vermeintliche Übermacht vorwirft, verrät viel über sich selbst. Auch eine Gesellschaft, die Antihelden braucht, sollte Besorgnis erregen. Es spiegelt eine Autoritätsgläubigkeit wider, die das Gegenteil von Emanzipation ist. In diesem Sinne sei ihren FeindInnen zugerufen: Befreit euch endlich! Und Alice Schwarzer sei alles Gute zu ihrem 70. Geburtstag gewünscht.

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Ines Pohl (Jahrgang 1967) war von Juli 2009 bis Juni 2015 Chefredakteurin der taz. Bevor sie als politische Korrespondentin für die Mediengruppe Ippen in Berlin arbeitete, leitete sie das politische Ressort der Hessischen /Niedersächsischen Allgemeinen. 2004/2005 war sie als Stipendiatin der Nieman Foundation for Journalism für ein Jahr an der Harvard University. Im Dezember 2009 wurde ihr der Medienpreis „Newcomerin des Jahres“ vom Medium-Magazin verliehen. Seit 2010 ist Ines Pohl Mitglied im Kuratorium der NGO „Reporter ohne Grenzen“. Außerdem ist sie Herausgeberin der Bücher: " 50 einfache Dinge, die Sie tun können, um die Gesellschaft zu verändern" und "Schluss mit Lobbyismus! 50 einfache Fragen, auf die es nur eine Antwort gibt" (Westend-Verlag)

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