Kommentar Alfred-Grosser-Rede: Exemplarische Grundsätze
Grosser fordert die Achtung der Grund- und Menschenrechte der Palästinenser - das ist exemplarisch, meint Rudolph Walther.
D ie Auseinandersetzung zwischen dem Zentralrat der Juden und Alfred Grosser, der bei der zentralen Gedenkveranstaltung am 9. November in der Frankfurter Paulskirche eine Rede hielt, ist exemplarisch. Mit rüden Attacken auf den Politikwissenschaftler, der als "nützlicher Idiot" der Hamas beschimpft wurde, wollte der Verband einem unbequemen Kritiker israelischer Politik schon im Vorfeld den Mund verbieten. Die Drohungen gipfelten in der Ankündigung, die Veranstaltung platzen zu lassen, sollte Grosser "ausfallend" werden. Dieses Verhalten gegenüber einem Zeitzeugen, der die Nazi-Barbarei als kleiner Junge noch selbst erlebt hat, war kein Ausweis demokratischer Streitkultur, sondern schlicht eine Anmaßung.
Zum Glück blieb der befürchtete Eklat aus, weil sich alle Beteiligten zurückhielten. Souverän war vor allem die Art, mit der Grosser die Angriffe auf seine Person und seine Meinungsfreiheit parierte: Er ließ sich nicht auf Scharmützel ein, sondern berief sich schlicht auf die Grundsätze, zu denen er sich bekennt - egal ob es um Frankreich, Südamerika oder Israel geht.
Einer dieser Grundsätze steht in der Präambel der Französischen Verfassung von 1946. Dort ist, mit Blick auf den Zweiten Weltkrieg, vom Sieg die Rede, "den die freien Völker über die Regimes davongetragen haben, die versucht hatten, die menschliche Person zu unterjochen und zu entwürdigen". Auf nichts anderes bezieht sich auch der jüdische Citoyen Grosser, wenn er etwa die israelische Politik in den besetzten Gebieten kritisiert und dort die Achtung der Grund- und Menschenrechte der Palästinenser einfordert.
Glaubwürdigkeit kann nur beanspruchen, wer Gegnern und Freunden gegenüber - so Grosser wörtlich - "exemplarisch" auftritt: eine Lektion des 85-Jährigen - auch für Funktionäre mit autoritärem Gehabe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!