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Kommentar AfghanistanwahlUnangenehme Wahrheiten

Kommentar von Britta Petersen

Die Taliban verlagert ihr Kampfgebiet in den Norden Afghanistans, denn dort sind die schwächsten Truppen stationiert: die Deutschen. Wenn die nicht aufgestockt werden, droht ein Desaster.

A uch wenn die Lage in Afghanistan am Wahltag noch unübersichtlich war, eines lässt sich schon jetzt sagen: Die ohnehin überoptimistische Hoffnung, dass nach den Wahlen alles besser werde, wird sich kaum erfüllen. Die Taliban haben gezeigt, dass sie inzwischen im ganzen Land dazu in der Lage sind, Angst, Schrecken und Tod zu verbreiten, und sie werden sich kaum zur Ruhe setzen, wenn der neue Präsident feststeht.

Vor allem für die Bundeswehr und damit für die deutsche Politik hält der gestrige Tag einige unangenehme Wahrheiten bereit. Die massive Schlacht in Baghlan und die Angriffe in Kundus und Char Dara zeigen, dass Nordafghanistan inzwischen genauso vom Virus des Aufstands infiziert ist wie der Süden des Landes. Was die Taliban dort gezeigt haben, nennen Militärs gewöhnlich eine "show of force". Und es ist kein Zufall, dass sie im Norden stattfindet.

Durch die verstärkte Präsenz der US-Truppen im Süden suchen sich Taliban und al-Qaida ein Ausweichgebiet. Dabei wissen sie sehr genau, dass die Deutschen das schwächste Glied in der Kette sind. Und die derzeitige politische Debatte um den Afghanistan-Einsatz befeuert diesen Eindruck nur.

Wer die Situation in Afghanistan nur ein bisschen kennt, weiß, dass die Diskussion um eine Exitstrategie eine Scheindebatte ist. Es wird im kommenden Jahr nicht darum gehen, festzulegen, wann man die Bundeswehr aus Afghanistan abziehen kann. Im Gegenteil. Die USA haben bereits angefangen - und sie werden das in Zukunft noch mehr - Druck auszuüben, die Truppenzahl zu erhöhen.

Dafür gibt es gute Gründe. Washington gewinnt wenig, wenn es durch mehr eigene Truppen die Lage im Süden besser unter Kontrolle bringt - sie aber gleichzeitig im Norden eskaliert. Wenn die Bundeswehr verhindern will, dass ihr Verantwortungsgebiet in naher Zukunft von Taliban überrannt wird, tut sie deshalb gut daran, ernsthaft über eine Aufstockung der Truppen nachzudenken.

Die Politik muss deshalb endlich jenen billigen Populismus stoppen, der dazu geführt hat, dass der Afghanistan-Einsatz in der Bevölkerung so unbeliebt ist. Die Bundeswehr, die in der Bündnispflicht und in Afghanistan steht, muss personell und materiell dazu in der Lage sein, erfolgreich auf eine neue Sicherheitslage zu reagieren. Andernfalls gefährdet sie auch das Leben deutscher Soldaten.

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11 Kommentare

 / 
  • N
    Nixda

    Das, was Sie vorschlagen, und die USA bereits praktizieren, ist die Vorgehensweise bei Vietnam.

    Wieviele Tote soll es noch geben?

    Und so ein Artikel auch in der taz. Quo vadis, taz?

  • M
    Martin

    Mal ganz ehrlich, Frau Petersen, haben Sie das aus der Bild oder von einem anderem Erzeugnis des Springer-Verlages abgeschrieben, zumindest den letzten Satz? Mir dreht sich der Magen um, wenn ich lese: 'Die Politik muss deshalb endlich jenen billigen Populismus stoppen, der dazu geführt hat, dass der Afghanistan-Einsatz in der Bevölkerung so unbeliebt ist'. Aber wirklich billig ist nicht die Abscheu vor dem Krieg und die Abscheu vor dem Töten von Menschen, sondern Ihre Werbung für den Krieg, der das sinnlose Töten sogar von Kindern verursacht, wie der neulich von 'uns' erschossene 15jährige Afghane, unbewaffnet, wehrlos und genauso hilflos wie die jüdischen Kinder im Warschauer Ghetto, genauso wehrlos. Für Sie ist es wohl ein Rätsel, warum man Deutschen die gewünschte Kriegsbegeisterung nicht wieder problemlos einimpfen kann. Kriege sind aber für alle, die sie erlebten, schrecklich und grausam. Sie wissen es nicht. Sie meinen, eine Stellungnahme für den Krieg abgeben zu dürfen, und ich denke, Sie hätten es daher auch 1939 getan, wenn es dieselbe Logik gewesen wäre, die Logik einer Abwehr von Gefahren für das 'deutsche Volk', das 'am Hindukusch' verteidigt wird. Ich denke: 'jetzt wird zurückgeschossen' ist daher für Sie das Argument (welches andere?), daher wäre es für Sie also auch 1939 genauso gewesen: Krieg als fiktive Verteidigung gegen wen auch immer. Jetzt gegen Afghanen der Taliban, die uns laut Regierung bedrohen, damals gegen die Polen, die uns laut Regierung bedroht hatten. Aber jetzt machen wir das Töten angeblich aus Menschenliebe und schützen die Afghanen vor den Taliban für Präsidenten Karsai, für den wir 'Aufständische' töten, Zivilisten und auch Kinder wie den 15jährigen. Der hatte wohl Pech gehabt und er war nicht Ihr Kind. Aber haben Sie einmal überlegt, wie sich die Argumente von 1939 mit den heutigen gleichen? Und haben Sie einmal an die Situation Afghanistans unter der Herrschaft der Staatskriminalität gedacht, ständiger Korruption, Drogen- und Menschenhandel durch regionale Gouverneure, Warlords und die Großfamilie Karsai? Karsai, der immer an erster Stelle ist, wenn es um die Beschränkung von Frauenrechten geht, Karsai, der einen Geheimdienst mit schlimmster Folter und Morden befehligt, ist so kriminell wie die Gouverneure und Warlords mit Privatarmeen, und wie die Polizeichefs, deren Posten für 50.000 US Dollar Schmiergeld käuflich sind und die dann zur schrankenlosen, ungehinderten Auspressung der Bevölkerung berechtigt sind, ersatzweise wird gefoltert und hingerichtet. Wie ignorant kann man sein, dieses nicht zu wissen und nicht zu erwähnen? Aber sich für Krieg aussprechen und daher auch für tote Kinder, das können Sie.

  • HB
    Holger Bergmann

    Das ist ja schon ein merkwürdiger Kommentar, den ich da in der taz lesen darf. Da steht dann, daß Nordafghanistan "vom Virus des Aufstands infiziert ist" - was soll diese Biologisierung denn?? Kommen dann als Nächstes "chirurgische Schläge"? Ist "Aufstand" eine Krankheit? Und braucht es für einen "Aufstand" nicht etwas mehr, als in der Bevölkerung eher unbeliebte Taliban?

     

    Und dann: "wer die Situation ... nur ein bißchen kennt, weiß, daß die Diskussion um eine Exitstrategie eine Scheindebatte ist". Aha. Wer was Anderes meint hat keine Ahnung, ein tolles Argument! Und warum Scheindebatte? Weil die USA nicht wollen. Auch toll, wenn jede Debatte dann endet, wenn die USA dagegen sind. Und über "billigen Populismus" holpert der Kommentar seinem Ende entgegen: "Die Bundeswehr, die in der Bündnispflicht und in Afghanistan steht, ..." - das erinnert michan den Lokalsportreporter, der in der Zeitung schrieb, daß Spieler X auf dem linken Flügel stürmt, flankt und wohl zum Verein Y wechselt. Inhaltlich fallen selbst mir für den Afghanistan-Krieg noch bessere Argumente ein, als die Sekundärtugend Bündnispflicht.

     

    Zum schlechten Ende gefährdet dann die Bundeswehr selbst, nicht etwa die Regierung, für den Fall, daß nicht noch mehr Soldaten hingeschickt werden, "das Leben deutscher Soldaten". Ich fürchte, diese und viele andere Leben sind schon längst in großer Gefahr.

  • H
    Hermann

    "Die Politik muss deshalb endlich jenen billigen Populismus stoppen, der dazu geführt hat, dass der Afghanistan-Einsatz in der Bevölkerung so unbeliebt ist."

     

    Ich fass es nicht! Ein solcher Satz in der taz! Begreifen die Leute in der taz nicht, dass die Ablehnung der deutschen Bevölkerung weniger mit der Ablehnung der Kriegsziele zu tun hat, denn mit der Angst um die jungen Menschen, die für die Ideologie gewissenloser deutscher , europäischer und US-amerikanischer Heilsbringer ihr Leben lassen sollen? Ein Krieg, der sich der 20-Jahresmarke nähert, sollte schleunigst vor der Kulisse des 30-Jährigen Kriegs in Europa analysiert werden. Solche Kriege paralysieren alle Kombattanten, erlangen eigene Gesetzmäßigkeiten und verlieren sich im allgemeinen Chaos. Man lese nur einmal Hermann Löns' "Wehrwolf".

  • L
    Laila

    Bis zum Endsieg. Oder eher Vietnam II? Truppenerhöhung-welch Lösungsansatz.Das war auch die Strategie der USA in Vietnam.

     

    Wieviele tote Zivilisten gibt es mittlerweile eigentlich seit 2001?

    Die Chefs in Afghanistan waren und sind die USA. Alles andere, incl Bundeswehr und Karsai, ist Staffage, Karsai der Sündenbock.

     

    Mein Vorschlag: politische Verhandlungen über Frieden. Mit allen Gruppen, auch den Taliban. Entgegen dem, was man manchmal meint, der westlichen Presse entnehmen zu können, sind fast alle Taliban Afghanen und keine Ausserirdischen.

     

    Dieses Land hat 30 Jahre bereits Krieg. Nochmal 5-10 Jahre (Steinmeier, Jung spricht gleich von 10 Jahren) westliche 'Befriedungsaktion'?

     

    Seit der NATO-Intervention verkommt Afghanistan moralisch (die Gründe würden hier den Rahmen sprengen)und ist Drogenlieferant.

    Welch 'Erfolg' für die NATO.

  • L
    lui

    Noch peinlicher als Drogenbaron Karsai finde ich unsere Drogenschutztruppe dort.

    Ein stehendes Heer ohne operatives Ziel wird während seiner Besatzungszeit automatisch demotiviert.

    Mit Waffen/Munition wird sehr viel Geld verdient, also gibt's da Lobby-Interessen für den Kriegseinsatz. Aber auch mit Drogen wird reichlich Kohle gemacht!

    Nicht umsonst gibt es Gerüchte, daß der CIA das größte Drogentransportunternehmen der Welt ist.

    Das würde auch diesen Patt-Zustand erklären, oder warum wird nichts gegen den Drogenanbau unternommen, wie z.B. in Kolumbien?

    Genauso die Taleban: sie errichten auf den Straßen Kontrollposten und lassen sich für ihren "Schutz" teuer von den Truckern bezahlen. Die Nato transportiert ihren Nachschub nicht selbst, und die Strassen sind ungeschützt.

    So verdienen auch die Taleban Millionen Dollar und können wederum in Waffen/Munition reinvestieren.

    Das ganze Spiel ist völlig sinnlos!

    Das sind auch keine Terroristen, sondern eher den somalischen Piraten ähnlich.

    Bewaffnete Geschäftsleute eben...

    Viel Spaß noch Wehrmacht!

    Die Kaspertruppe ist doch schon froh wenn sie heil ihre Schützenpanzer von einem Dorf ins nächste kutschiert hat, natürlich ausschließlich am Tage, nachts überläßt man die Afghanen lieber sich selbst.

    Lachhaft!

  • L
    label

    Nicht die Truppen aufstocken, sondern abziehen!

  • G
    gregor

    TAZ schreibt: "Andernfalls gefährdet sie auch das Leben deutscher Soldaten." Krieg ist die Fortsetzung der Politik. Man kann also die Politik nicht damit erpressen. Das Leben von Soldaten gehört voll der Politik, ihrem Populismus und ist davon nicht zu trennen. Die Unklarheiten über den Einsatz gehören zu der Existenz eines imperialen Soldaten. Wie auch die Möglichkeit, dass die Legion, irgendwo, am Rande der Zivilisation, durch den Aufstand der Barbaren verloren wird. Was läuft heute im Fernsehen?

  • V
    vic

    Na prima, die taz plädiert für Truppenaufstockung im Krieg gegen einen Staat und seine Bevölkerung die uns nichts getan hat.

    Und von wegen UNO Mandat. Die Gründe für diesen Überfall basieren allesamt auf Lügen und dubiosen Unterstellungen.

    "Man muss die Akzeptanz erhöhen" so so. Wie denn, durch massiven Einsatz von Werbeagenturen?

  • A
    Axel

    Zwar ist die Bundeswehr nicht kriegerisch in Afghanistan, sondern sie arbeitet mit afghanischen Behörden, Polizisten und Soldaten zusammen. Aber für welchen Zweck? Zu welchem Ziel?

     

    Vor ein paar Wochen hat sie lt. Presse die Taliban aus einem Dorf verjagt, und diese kamen ein paar Tage später wieder zurück. Sowas ist in meinen Augen sinnlos. Warum wurden diese Taliban nicht soweit möglich festgenommen? Bei uns hier ist es doch auch üblich, Personen, von denen eine Fremdgefährdung ausgeht, festzunehmen und nach gerichtlicher Prüfung in Sicherheitsgewahrsam zu nehmen, bei Erfordernis lebenslang.

     

    Da die Taliban nicht wie anständige Menschen bei der jetzigen Wahl kandidiert haben, sondern die Wahl mit Bomben zu ruinieren trachten, haben die Taliban von selber und über sich selber bekundet, dass sie nicht zu den zivilisierten Menschen gehören. Langfristige Internierung ist deshalb angemessen, zumal die Taliban Frauen im Namen des Rechts sadistisch missandeln und politische Gegner öffentlich grauenvoll hinrichten.

  • L
    Laila

    Mensch, Frau Petersen, Truppenerhöhung. Das Ergebnis einer nicht erfolgten, ehrlichen Analyse.

    Aha, Truppenerhöhung- und dann?