piwik no script img

KolumneWandelklima nur Schwindelschwandel?

Ökosex ist begeistert, dass Deutschlands Journalismus endlich ein brandheißes Eisen anpackt.

Es klingelt ein Telefon in Maastricht, in meiner niederländischen Teilheimat. "Hallo, hallo", meldet sich eine erotische Stimme aus dem fernen Deutschland. Ah, aus Deutschland, denke ich. Wo es im Moment ja so richtig rund läuft. Politisch wegen des Booms der erneuerbaren Energien, wirtschaftlich wegen des Booms der erneuerbaren Energien. Und kulturell geht es voran, weil die solare Effizienzrevolution langsam, aber sicher die Herzen der Menschen erreicht (siehe Ökosex vom 15. 6. 2007). Ein Anruf aus genau diesem Deutschland. Ich war ganz gespannt.

Bild: privat

Martin Unfried (41) arbeitet als Experte für europäische Umweltpolitik in Maastricht. Er liebt die solare Effizienzrevolution, kauft sich hemmungslos Klimaschutzprodukte und will damit bis 2012 raus sein aus der fossilen Welt. Er singt auch bei Ökosex, der ersten Kolumnenband der Welt.

"Hier spricht die Fernsehredaktion", sagt eine Fernsehredakteurin freundlich. "Wir machen eine wichtige Sendung zum Klimawandel. Und weil wir Ihre interessanten Traktate kennen, Ökosex und so, da dachten wir " "Oh", sage ich geschmeichelt, "Sie kennen Ökosex, wie finden Sie denn meinen Rollkragenpullover?" "Genau darum rufe ich an", seufzt die Fernsehredakteurin. "Wir machen ein Sendung zu einem aktuell heißen Aspekt des Klimawandels!" "Das ist ja interessant", rufe ich, "da sind Sie bei Ökosex genau richtig. Aber noch nichts sagen! Lassen Sie mich raten, was es in dieser schweren, aber doch hoffnungsvollen Stunde im Angesicht des Klimawandels journalistisch aufzuarbeiten gilt. Geht es um die vorhergesagte Invasion der Braun- und Steinkohlesaftzwerge? Nein? Um Fehlallokation im Verteilungsdschungel der Verschmutzungsspechte? Nein? Geht es um das Begräbnis der angekündigten Netzentflechtung der Oligopolkonzerne? Nein? Auch nicht? Halt, nicht sagen! Dann geht es sicher um die Manipulation der Preise an den Elektrobörsen? Nein? Auch nicht? Halt, jetzt weiß ich es! Wir diskutieren, die Nachfolge von Horst Köhler. Ob Herr und Frau Sladek, die Schönauer Stromrebellen und Träger des deutschen Gründerpreises (ZDF), dem Amt des Bundespräsidenten neuen Glanz verleihen könnten. Nein? Das ist auch nicht das Thema der Sendung? Wie schade. Das Versagen der Showbizz-VIPs in Deutschland? Warum all die Fernsehnasen noch keine Fotovoltaikanlagen auf dem Dach haben? Das wäre doch mal ein interessanter Zündstoff! Warum die dufte Solarthermie völlig unterschätzt wird und wo überhaupt das Wärmeeinspeisegesetz bleibt? Auch nicht. Hmh. Halt, nicht sagen. Ich komm noch drauf. Sie erwähnten, es sei eine Talkshow zum Thema Klimawandel. Kraft-Wärme-Kopplung-Desaster, Gebäudepassprobleme und Schumi-Bleifußkultur? Auch nicht? Jammerschade.

Für all diese Themenfelder hat Ökosex nämlich extra Sprechzettel für Talkshows vorbereitet mit allem Pipapo. Jetzt bin ich aber doch gespannt wie ein Flitzebogen. Eine Sendung zum Klimawandel. Na, dann verraten Sie mirs doch endlich."

Sagt die Fernsehredakteurin: "Das Thema heißt: Klimawandel nur Schwindelschwandel!" Oh, sage ich: "Das ist aber ein interessantes Thema." Die Redakteurin freut sich und fährt fort. "Wissen Sie, wir wollen endlich mal diskutieren, ob der Klimawandel vielleicht nur ein großer Bluff ist. Da mehren sich ja jetzt auch die Stimmen. Vielleicht gibt es ja gar kein Wandelklima und das ist alles nur Hysterie. Dazu haben wir Gäste eingeladen, die das vertreten. Was sagen Sie denn dazu?" Ich stutzte: "Zum Schwindelschwandel fällt mir so schnell nichts ein, aber haben Sie denn zu Hause schon grünen Strom?"

Spaß beiseite. Dieses Gespräch hat natürlich so nie stattgefunden, aber es stimmt, dass die Redakteurin keinen grünen Strom zu Hause hat. Und es stimmt auch, dass ich zweimal in den letzten Wochen beinahe eingeladen wurde, aber dann doch nicht. Das Problem aus Talkshow-Sicht: Ich wollte mich nicht so richtig aufregen über altbekannte, respektable Außenseiterpositionen in der Diskursgesellschaft. Ich wollte über die solare Effizienzrevolution sprechen. Die ist im Moment ein bisschen out. Aber Ökosex ist guter Hoffnung, dass sich das Medienklima in wenigen Wochen auch wieder schwindelschwandelt. Spätestens bei der großen Al-Gore-Show am 7. 7. 2007. Ökosex rät, an diesem Tag mit dem eigenen Ausstieg aus der fossilen Welt zu beginnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!