Kolumne: Ich schwimme sogar in Milch!
Ich mag sie, die Milch. Ganz egal, was sie kostet - sie ist jeden verdammten Cent wert.
KA-WUMMMMM, machte die gewaltige "Preisexplosion" von schlechterdings allem, was auch nur entfernt mit Milch zu tun hat. Ihre Druckwelle raubte mir den Atem, holte mich von den Beinen und schleuderte mich in die hinterste Ecke des Supermarkts, wuchtige Tetrapak-Trümmer flogen mir um die Ohren und an den Kopf, und plötzlich wurde mir wieder einmal bewusst: Ich mag Milch.
Arno Frank (36) ist taz-Redakteur. Er kann lesen und schreiben. In seiner Freizeit spielt er gerne Flipper, hört schlechte Musik, schaut sich gute Pornos an und erschlägt manchmal kleine Hunde.
Dabei habe ich von Kindesbeinen an eigentlich nur schlechte, um nicht zu sagen: traumatische Erfahrungen gemacht. Weniger mit der Milch als mit ihrer Beschaffung und Besorgung, später dann mit ihrer Verarbeitung. An meinen ersten Kontakt mit Milch kann ich mich nicht erinnern, wenngleich Psychologen mich belehren, dass er in einem geheimnisvollen Zusammenhang mit meinem erzmännlichen Interesse an der weiblichen Brust stehen muss. Whatever.
Umso präsenter ist mir meine zweite Begegnung mit Milch, die sich in einem verschlafenen Weiler im Pfälzer Wald zugetragen hat. Von den Eltern wurde ich mit einer blechernen Kanne zum Nachbarn geschickt, "die frische Milch vom Bauern holen, damit du mal siehst, wo die herkommt".
Kühe bekam ich keine zu Gesicht, dafür aber Rex, den rüden Boxer. Er bewachte das Anwesen und freute sich offensichtlich tierisch über meinen Besuch - sonst hätte er sich wohl kaum die Mühe gemacht, mich hechelnd und mit rhythmischen Bewegungen quer über den Hof zu schieben, wo der Bauer gerade dabei war, irgendeine arme Sau per Bolzenschussgerät in den Schinkenhimmel zu befördern. Ich entsinne mich, wie Mama meine neue Hose damals wortlos im Garten verbrannte und mich nie wieder losschickte, "die frische Milch vom Bauern holen".
Später lernte ich dann doch noch aus eigener Erfahrung als Ferienjobber, wo die Milch herkommt, nämlich von hinter dem Stacheldraht aus einer tristen Fabrik der Südmilch AG im Industriegebiet von Kaiserslautern.
Während meiner zwei Monate dort sah ich Dinge. Schlimme Dinge. In aller Herrgottsfrühe wurde die "frische Milch vom Bauern" aus Tanklastzügen durch dicke Schläuche in die Fabrik gepumpt, wo sie dann in rätselhaften Bottichen homogenisiert, pasteurisiert, ultrahoch erhitzt oder zu Pulver verarbeitet wurde, je nach Bedarf.
In der großen Halle roch es, als habe ein Riesenbaby ein Riesenbäuerchen gemacht, und zwar von morgens bis abends. Es sah aus wie das Hauptquartier eines Bösewichts bei "James Bond". Gestalten in weißen Kitteln schlichen zwischen den Gabelstaplern umher und nahmen mit ihren Pipetten mal hier, mal dort ein paar Proben. An der Abfüllanlage wurde von tätowierten Schiffschaukelbremsern abwechselnd Aldi- und Landliebe-Milch abgefüllt, aus ein und derselben Großmilchwanne. Es muss dieser Anblick gewesen sein, der Karl Marx zu seinem Entfremdungsbegriff inspiriert hat. Keine Kuh, nirgends.
Meine Aufgabe war es, den verchromten Schlund einer blitzenden Maschine mit den vergammelten Milchpackungen zu füttern, die in einer Wolke aus Fruchtfliegen palettenweise draußen auf der Rampe lagerten. Die Maschine zerquetschte die Tetrapaks und saugte deren gärenden Inhalt gnädig ab. Wohin genau, das erfuhr ich wenig später, als ich mit Schaufel und Eimer auf ein Himmelfahrtskommando in den Keller des Gebäudes geschickt wurde. Dort stand im Licht einer nackten Glühbirne und im Gestank von Jahrzehnten die fermentierte Glibberpampe kniehoch. Als darin etwas Schmandfarbenes, Schuppiges geschmeidig an meinen Gummistiefeln zu saugen begann, quittierte ich sofort den Dienst und ließ fürderhin selbst Kinderschokolade links liegen.
Bis zu jenem Erlebnis vor ein paar Jahren, zwischen Holz und Stroh in einem trockenen Stall während eines Gewitters im Gebirge. Über mir wölbte sich ihr mächtiger Leib, dampfend vor Tatendrang. Vor mir baumelten ihre Zitzen, zart behaart und rosa und weich. Eine konvulsische Bewegung meiner Hand, schon spritzte mir die Milch in einem dünnen Strahl aus dem Euter direkt in den Mund. Sie hieß Chantalle. Ich werde sie nie vergessen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!