Kolumne: Wieso fährst du diese CO2-Schleuder?
Kann man sich in einem Auto, das 223 g/km CO2 ausstößt, tatsächlich "zivilisiert" unterhalten, lieber Josef Joffe?
D er Zeit-Herausgeber Josef Joffe hat in einem Artikel angeregt, im Familien- und Freundeskreis öfter mal nachzufragen: "Sag mal, wieso fährst du eigentlich diese CO2-Schleuder?"
Jawohl, dachte ich beim Lesen, das ist erneut ein brillanter Gedanke dieses wichtigen, weil meinungsbildenden Journalisten. Leider musste ich entdecken, dass über dem Artikel "Glosse" stand. Das war also ironisch gemeint von Herrn Joffe! Er machte sich über Moralapostel lustig. Da habe ich mich gewundert, denn ich frage ja seit Jahren bei Partys und Familienfesten nach den Auto-Emissionen von Onkel, Tante und der Oma. Und ich bin bekanntlich kein Moralapostel. Wer Lust hat, darf sogar mal mit meinem Ökosexmobil fahren, um zu sehen, wie das CO2-freundlichste Auto der Welt in der Kurve liegt. Aber der etwas bizarre Vorwurf, man habe "Moral", kommt immer wieder. Speziell, wenn ich mich in der Öffentlichkeit zu Autos äußere.
Es handelt sich um ein Missverständnis: Die CO2-Frage hat mit erhobenen Zeigefingern nichts zu tun. Da geht es in der Tradition der Französischen Revolution um Information und Aufklärung. Beides ist nötig. Sogar nach wochenlangem Klimakarneval haben viele Autofahrer noch recht vage Vorstellungen in Sachen Klimaschutz. Ein Beispiel: Da testet der Moralapostelkritiker Josef Joffe diese Woche ein Audi Cabrio mit einem CO2-Ausstoß von 223 g/km. Zum Vergleich: dreimal so hoch wie der meines Ökosexmobils. Der Artikel erscheint am gestrigen Donnerstag. Just an dem Tag, an dem wir erfahren, dass Umweltminister Sigmar Gabriel doch kein Klimagott ist. Am Tag, als mehr denn je deutlich wird, dass die Regierung weiterhin nicht wirklich handelt, und wir Citroën, wir Bürger, also der kleine Mann auf der Autobahn, den Klimaschutz selbst in die Hand nehmen müssen.
An diesem schicksalhaften Tag für Deutschland sieht Joffe in Sachen Cabrio und fossile Brennstoffe Positives. Er schreibt: "Dabei frisst der Sechszylinder-Diesel auch bei schärferer Fahrt nicht mehr als zehn Liter." Das soll offenbar die Klimafreundlichkeit des Wagens herausstreichen.
Das passiert am Tag, an dem klar wird, dass es weder ein Tempolimit, eine radikal veränderte Dienstwagenbesteuerung, eine zukunftweisende Kfz-Steuer noch ein Verbot von Autos über 160g/km CO2 geben wird. Just an diesem Tag schreibt Joffe über den Audi: "Auch bei 180 kann man noch zivilisiert miteinander plaudern oder Barbarinas leises Klagelied im Figaro hören."
Und jetzt frage ich Sie, meine Damen und Herren: Was hat es mit Moral zu tun, wenn ich beiden Aussagen auf das Schärfste widerspreche? Joffes Klimaschutzvergessenheit führt uns direkt zum Kern des Problems: der kulturellen und emotionalen Blockade. Selbstverständlich können wir die CO2-Emissionen unserer Autos um die Hälfte senken. Und zwar ruck, zuck. Das ist kein moralisches, kein wirtschaftliches und schon überhaupt kein technologisches Problem. Man muss es nur tun.
In Wirklichkeit heißt die Schlüsselfrage einer zivilisierten Gesellschaft in Zeiten des Klimawandels: Kann man sich in einem Wagen, der 223 g/km Kohlendioxid ausstößt bei einer Geschwindigkeit von 180km/h, wirklich "zivilisiert" unterhalten? Über Barbarinas Klagelied? Oder über die offensichtlichen Defizite der Klimapolitik Deutschlands und der Europäischen Union? In aller Bescheidenheit: Ich meine, nein. Ein zivilisiertes Gespräch, lieber Herr Joffe, ist erst in einem Auto unter 110g/km CO2 möglich. Steigen Sie ein und erleben Sie es selbst. Darüber und über andere relevante Fragestellungen rund ums Automobil würde ich gerne ein Symposium veranstalten unter dem Titel: "Wieso fährst du diese CO2-Schleuder? Autokritik im Wandelklima". Ich hätte da auch schon einen kleinen Vortrag vorbereitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?