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KolumneDie Feinde des Paranoikers

Die Dänen beschweren sich: Sie glauben, dass sie vor ihrem Duell gegen China bei Taktikbesprechung und Probetrainings bespitzelt wurden.

Die Feinde des Paranoikers

Im 14. Stock steht ein Chinese. Er lässt uns nicht aus den Augen. Wenn wir das Zimmer verlassen, macht er sich eine Notiz oder spricht in seinen Walkie-Talkie. Manchmal fragt er nach unserer Zimmernummer. Wenn wir uns im Gang unterhalten, dann kommt der chinesische Etagendiener angelaufen, wobei unklar ist, was das soll. Sind Gespräche im Flur nicht erlaubt? Will er uns einschüchtern? Sollen wir uns überwacht fühlen? Er legt überhaupt keinen Wert auf Zurückhaltung. Darauf sind die geheimnisvollen Etagendiener von Hangzhou nicht geschult. Nein, sie gehen eher plump vor. Im Zimmer eines Fotografen wurde der Koffer durchwühlt, wir vermissen Visitenkarten von chinesischen Kollegen, und beim Surfen im Internet fühlen wir uns nicht mehr allein. Das alles sind Disziplinen in der präolympischen Sportart "Harmonisierung". Harmonie ist das chinesische Synonym für Kontrolle.

Bisweilen ist es so, dass wir vorm Computer sitzen, aber keinen Zugriff mehr auf die Programme haben. Nach einer halben Stunde sind dann wohl die EDV-Kollegen des Etagendieners via LAN-Kabel fertig mit der Systempflege des taz-Rechners, und wir dürfen den Laptop wieder selbst nutzen. Für Westeuropäer sind das merkwürdige Gepflogenheiten - auch für Dänen, denen die Entourage der Etagendiener gleichfalls auf den Leib gerückt ist. Die Dänen, die heute ihr letztes, wegen des Taifuns "Wipha" um einen Tag verschobenes Vorrundenspiel gegen Brasilien haben (Eurosport, 14 Uhr), spielen in der Gruppe mit den Chinesen, was den gezielten Einsatz fernöstlicher Späher erklären würde. Die Skandinavier haben den Weltverband Fifa ja schon vor einiger Zeit darüber unterrichtet, dass eine interne Teamsitzung im Hotel abgehört und ein "Geheimtraining" gefilmt worden sind. Dänische und schwedische Medien haben geschrieben, Telefone seien angezapft worden. Stimmen die Vorwürfe, oder haben die Dänen Gespenster gesehen?

Nun sind die Dänen nicht bekannt dafür, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Die Vorwürfe wogen jedenfalls recht schwer: Bei jener Taktikbesprechung vorm Duell der Skandinavierinnen mit China seien in einem angrenzenden Raum zwei Chinesen mit Videoausrüstung zugange gewesen. Sie wollten die Runde möglicherweise durch einen Spiegel filmen. Auch das Geheimtraining vor der Partie soll aufgezeichnet worden sein. Außerdem sind die Übungseinheiten der Dänen häufiger gestört worden durch Sprenkleranlagen, plötzliche Stromausfälle und eine unvermittelt auftauchende Blaskapelle.

Diese Art der Beeinträchtigung ist allerdings nicht typisch chinesisch, auch anderswo auf der Welt versteht man sich auf diese gezielten Störmanöver. Außerdem: Was hätte das chinesische Team Wichtiges aus der Mannschaftsbesprechung der Dänen erfahren sollen? Was für geniale Schachzüge hatte Coach Kenneth Heiner-Möller insgeheim geplant? War es eine Freistoßvariante, wie sie die Japanerinnen zeigten, die sich kniend vor die englische Mauer hockten und von der eigenen Schützin anbolzen ließen?

Heiner-Möller war so aufgebracht, gezeichnet von Überwachung und der prompt folgenden Niederlage gegen China, dass er die vierte Schiedsrichterin nach dem Spiel anpöbelte. Er bekam eine Fifa-Strafe aufgebrummt; ein paar Spiele muss er von der Tribüne aus verfolgen und sich überdies im kommenden halben Jahr als braver Sportsmann bewähren. Die Chinesen wurden derweil nicht bestraft. Die Berichte der verfolgten Dänen hat der Weltverband komplett ignoriert. Ermittelt wurde gar nicht erst. Der Fall galt schnell als erledigt. Könnte gut sein, dass man es sich nicht mit dem kommenden Olympiaveranstalter verderben will, und mit der designierten Weltmacht schon gar nicht. Da ist es besser, den dänischen Coach als halben Paranoiker hinzustellen. Aber wie heißt es doch so schön: Auch der Paranoiker hat Feinde. Und wenn es nur ein paar Etagendiener sind.

MARKUS VÖLKER

* Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen (altchinesisches Kriegsstrategem)

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