Kolumne: "Ich habe einen dicken Kloß im Hals"
streiktagebuch. Protokoll
Trotz des teilweise ausgesetzten Streiks bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) könnte es Ostern bereits wieder größere Probleme im öffentlichen Nahverkehr geben. Am Dienstag fuhren U-Bahnen und Trams zwar weitgehend nach Plan, wie BVG-Sprecher Klaus Wazlak bestätigte. Bei den Bussen seien jedoch nur noch 85 Prozent einsetzbar gewesen, weil nach wie vor die Werkstätten bestreikt würden. Jeder Mangel - vom Nachfüllen der Bremsflüssigkeit über eine klemmende Tür bis zu größeren Reparaturen - führe jetzt zum Stillstand. Von den rund 950 Bussen fahren bereits an die 150 nicht mehr. "Wenn wir jeden Tag bis zu 15 Prozent weniger Busse haben, könnte es an Ostern mau aussehen", sagte Wazlak. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hatte am Montag mit Rücksicht auf die Fahrgäste den unbefristeten Streik für die Fahrer der Busse und Bahnen ausgesetzt, obwohl keine Annäherung der Tarifparteien erfolgt war. Die Werkstätten und die Verwaltung der BVG werden aber nach wie vor bestreikt. Ver.di will heute entscheiden, wie es im Arbeitskampf weitergehen soll. DPA
Sabine Bulla, 44, fährt seit 21 Jahren Bus bei der BVG. Am Dienstag saß sie hinter dem Lenkrad.
"Heute bin ich zum ersten Mal nach dem Streik wieder gefahren. Das hat schon Spaß gemacht. Da ist mehr Leben dabei, als wenn man nur rumsitzt. Um 4.49 Uhr gings los. Sie haben mir den X9er gegeben, der fährt vom Zoo zum Flughafen Tegel.
Ein paar Meter, schon war ich wieder drinnen. Das Busfahren verlernt man ja nicht. Das steckt so tief in einem, manchmal träume ich sogar davon. Zum Beispiel, dass ich den Bus abschließen will, aber der rollt weg. Einmal ist mir das tatsächlich schon passiert. Da habe mich ganz schnell auf den Sitz geschmissen und die Handbremse angezogen.
Aber heute lief alles nach Plan. Ich hatte vorher Sorge, dass die Leute nach dem Streik sauer sein könnten, doch keiner hat mich beschimpft. Viele waren freundlich. Vielleicht habe ich auch einfach ne gute Linie erwischt.
Feierabend hatte ich um 12.58 Uhr. Ich bin nicht gleich nach Hause, sondern noch zum Bushof, um mich ein bisschen umzuhören. Heute früh konnten nämlich viele Kollegen nicht losfahren, weil sie keine Busse bekamen. Es waren wohl keine Leute zum Tanken da. Für die Wartung gibt es zurzeit nur zwei Mitarbeiter, die anderen streiken noch. Wenn jetzt jeden Tag ein paar Busse kaputt gehen, haben wir irgendwann gar keine mehr.
Jedenfalls gab es das Gerücht, dass die BVG uns nicht bezahlen will, wenn wir nicht fahren, egal ob wir zum Dienst antreten oder nicht. Falls das so ist: Das lasse ich mir nicht gefallen! Die BVG ist doch dafür zuständig, uns die Busse zur Verfügung zu stellen.
Viele von den Kollegen meckern zudem, weil sie unzufrieden sind mit den Ergebnissen des Streiks. Auch ich bin sauer, dass die uns kein neues Angebot machen. Ich habe einen ganz dicken Kloß im Hals vor lauter Wut."
Die taz begleitet Sabine Bulla durch den BVG-Streik
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