■ Kolumne: Die mongolische Drehleier
Einmal fühlte ich mich dem renommierten Maler A.R. Penck sehr nahe. Er saß in einer Talk-Show und hatte schon soviel Champagner getrunken, daß er, dem der Ruf vorauseilt, ein routinierter Trinker zu sein, kaum noch verständlich sprechen konnte. Aber sein Credo, das, worum es ihm geht, warum er das alles macht, was er macht, das konnte er formulieren. Er wolle die Entropie aufhalten, sagte er.
Und ich dachte: Wir mögen verschiedene Wege gehen, Genosse A.R., aber eines Tages werden wir gemeinsam im Schatten des Baumes der Erkenntnis unser Brot brechen. Und eine Gestalt, halb Mensch, halb Adler, wird in einem weißen Feuerwagen vom Himmel herab zu uns ...
Oder womöglich nicht? Was, wenn wir bereits verloren hätten? Der Comic-Autor Daniel Clowes sagt den Weltuntergang für jenen Moment voraus, in dem das letzte noch nicht erfundene Ding erfunden wird, in seiner Prophezeiung ist es eine HiFi-Pizza. Vorher läßt er, um zu zeigen, daß es alles andere bereits gibt, einen Mann aufmarschieren, der ein Fanzine herausgibt über Leute, die Statuen von Abraham Lincoln aus Ohrenschmalz herstellen. „Lachen Sie nicht“, warnt der. „Wir sind viele Tausende!“
Es sollte mich nicht wundern, wenn auf der Mitte August in Köln veranstalteten Popmusik-Messe „PopKomm“eine HiFi-Pizza präsentiert würde. Schließlich gibt es kaum etwas, das in irgendeinem Zusammenhang mit Popmusik steht, das dort nicht vertreten ist. Der Messebesucher flaniert derweil durch dieses natürlich völlig antihierarchische Miteinander von einander entgegengesetzten Weltbildern, kostet hier ein wenig Todesmetal, dort ein Häppchen Ibiza-House, um sich schließlich noch kurz von mongolischer Drehleier-Musik aus den Vierzigern zerstreuen zu lassen – ganz so, als hätte die Postmoderne endgültig gesiegt. Da aber die Postmoderne für die Menschheit das bedeutet, was die Entropie für die Materie des Universums bedeutet, sollte man vielleicht langsam sein Bündel schnüren.
Ich traf neulich im Supermarkt einen befreundeten Musikjournalisten mit Frau und Kind, der mir eröffnete, er wolle mit dem Musikjournalismus nichts mehr zu tun haben, habe seine Arbeitszeit auf die Hälfte reduziert und würde sich nur noch ums Kino kümmern. Schließlich interessiere ihn das Schicksal der Popmusik nicht mehr, er höre ausschließlich Reggae. Und es dämmert mir im Nachhinein, daß es vielleicht auch für mich an der Zeit ist, meine Angelegenheiten zu regeln und in meinen alten Beruf zurückzukehren.
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